Widersprüche der saudischen Gesellschaft und Bedeutung von Bildung

Aus Jugendsymposion
Wechseln zu:Navigation, Suche

von Leonard Dösch, Matthias Riedel, Pinkus Tober-Lau, 1. März 2010


Am 21.02.2010 erschien im gedruckten Tagesspiegel ein Artikel über den gesellschaftlichen Umschwung in Saudi Arabien. Dieser wurde ausführlich in der Klassengemeinschaft und teilweise auch klassenübergreifend diskutiert, im Folgenden sollen die von uns gefundenen Ergebnisse zu den Fragen „Welche Widersprüche finden sich in der Gesellschaft Saudi Arabiens?“ und „Welche Rolle spielen Bildung und Bildungssystem für ein Land?“ kurz dargestellt werden.


Saudi Arabien - sofort denkt man an Luxus und Öl. Dann fängt man an, an solche Aspekte wie beispielsweise die Rolle bzw. Position der Frau und an zum Teil mittelalterliche Methoden und Bräuche, u.a. die öffentlichen Hin-richtungen und Auspeitschungen zu denken. Und größtenteils stimmen diese Klischees mit der Realität überein.

Tatsächlich werden saudische Frauen laut Recht „wie Minderjährige“ behandelt, sie dürfen nicht Auto fahren, wählen, ohne die Erlaubnis eines männlichen Familienmitglieds arbeiten, reisen oder sogar einen Arzt aufsuchen. Ferner müssen sie laut Gesetz sogenannte „Abayas“, lange, schwarze, alles verhüllende Roben tragen, Zwangs-heiraten von jungen Mädchen mit alten Männern sind keine Seltenheit.

Auch die öffentlichen Hinrichtungen finden laut Menschenrechtsorganisationen ca. zweimal die Woche statt, Auspeitschungen wesentlich öfter. Zudem gibt es eine Religions- bzw. Sittenpolizei, die das Leben der in der Mo-narchie lebenden Menschen kontrolliert.

Doch vor vier Jahren kam der 85jährige König Abdullah an die Macht und mit ihm die langsame aber sichere Ver-änderung der Gesellschaft. Er hat begonnen, sowohl die Bildung als auch die Justiz zu reformieren, bisher Gebiete der konservativen, religiösen Führer. Und er stößt damit auf teils großen Widerstand, auch aus den „eigenen Rei-hen“ seines Königshauses. Es „herrscht [dennoch] eine Aufbruchsstimmung“ bei der inneren Modernisierung des Landes. Auf die schlechte Wertung der Schulbildung durch die Weltbank hin hat König Abdullah u.a. mit 10 Mrd. Dollar Startkapital die „King Abdullah University of Science and Technology“ einrichten lassen, in der Hauptstadt Riyadh soll demnächst die neue Frauenuniversität für 40.000 Studentinnen fertiggestellt sein. Und trotz dieser Neuerungen ist es weiterhin so, dass die ehemals als unantastbar geltenden Curricula, die zu einem Drittel aus Koranauslegung und Scharia-Unterricht bestehen, in Schul- und Studienzeit unterrichtet werden.

Der 11. September 2001 ist laut Mohammed al Zulfa „ein Glück für Saudi Arabien“, da er das der Problem der radikalen islamischen Religion für jedermann thematisiere, es sollen sich Gedanken gemacht werden, inwieweit die Koranauslegung, so wie sie jetzt gelehrt wird, richtig und vertretbar ist. Um über dieses und andere Themen zu diskutieren treffen sich heute viele der gebildeten Menschen der jüngeren Generation in sogenannten Diwaniyyas, Cafés ähnlich wie die literarischen Salons im ehemaligen Ostblock. Diese heißen beispielsweise „Andalusia“, in Anlehnung an den Inbegriff für Kultur und Geist im islamischen Mittelalter, Andalusien. So wird in dem Land, in dem es kein einziges Theater oder Kino gibt, über Hollywood-Filme aber auch andere Themen wie zum Beispiel Erotik und Anziehung debattiert; überzeugte Atheisten diskutieren mit frommen Gläubigen friedlich über die Existenz der Götter, des Gottes. Und alles hinter verdunkelten Scheiben. Diese ganzen Neuerungen und Errungenschaften stellen einige Leute nun auch vor neue Probleme, früher war klar geregelt, was man durfte und wofür man bestraft wurde; doch nun „ist es oft unklar, ob man eine Grenze schon überschreiten kann oder nicht“; dies zeigt sich zum Beispiel dadurch, dass politische Aktivisten immer wieder eingesperrt werden, u.a. „wegen Gefährdung der nationalen Einheit“ oder „Herausfordern der Machthabenden. Insgesamt lässt sich also sagen, dass sich das Land auf dem richtigen Weg befindet aber quasi zwischen zwei Welten gefangen ist. Die eine ist die konservative Auslegung und Auslebung des Islams, in der Frauen eine geringe, Sittentreue und Religion eine dafür umso größere Rolle spielen. Die andere ist die freizügige westliche Welt, so wie wir sie kennen. Da ist es selbstverständlich, dass sich Widersprüche erkennen lassen, zum Beispiel die Einrichtung einer Universität für Frauen, die eigentlich nur wenig wert sind und die sie nur mit der Einwilligung ihrer männlichen Familienmitglieder besuchen dürfen, oder die Diwaniyyas, in denen philosophiert und debattiert wird über politische und v.a. kulturelle Aspekte obwohl es keine Theater oder Kinos gibt. Ein weiterer Widerspruch ist König Abdullahs Reformpolitik, die einerseits stark westwärts gerichtet, andererseits auf die absolute Monarchie bestehend ist. Politische Aktivisten, so wenige es auch geben möge, verschwinden jahrelang hinter Gittern für ihre Äußerungen. Es ist also ganz klar, dass die Politik weiterhin die Angelegenheit des Königs ist; bürgerliches Engagement ist nicht erwünscht - noch nicht.


Wie schon erwähnt, spielt die Bildung in der Reformpolitik König Abdullahs eine große Rolle. Daher soll im Folgenden nun die Rolle und Wichtigkeit der Bildung und des Bildungssystems in einem Staat diskutiert werden. Bildung ist das heute wohl wertvollste gut was es gibt. Man kann sie nur durch harte Arbeit erlangen, ähnlich wie alles andere Erstrebsame. Und doch ist sie wertvoller, denn mit ihrer Hilfe kann man andere Güter erlangen. Ohne Bildung ist kein Leben in unserer heutigen Gesellschaft mehr möglich. Daher wird es schon lange als Aufgabe des Staates betrachtet, sich darum zu kümmern, dass seine Einwohner eine Bildung bekommen. In unseren westlichen Ländern ist es selbstverständlich, dass man zumindest eine Hauptschulbildung bekommt, sind die Leistungen gut genug, so kann man auch noch höhere Abschlüsse machen und gegebenenfalls eine Universität besuchen, und dann in einem oder mehreren Fächern besonders gebildet zu werden. Und natürlich kann man heute eine gute Ausbildung bekommen, ohne dafür bezahlen zu müssen. Doch das war nicht immer so, bis vor nicht allzu langer Zeit mussten Eltern bezahlen, damit ihre Kinder die Schule besuchen durften, manchmal war dies sogar den Jungs vorbehalten.

Eine ähnliche Entwicklung geht auch Saudi Arabien durch, allerdings aus unserer Sicht ein paar Jahrzehnte „hin-terher“. Nun, das liegt an unserer früheren Bildung, denn Bildung baut auf Bildung auf, aufgrund diverser Kriege, Tyrannen sowie der Religion und geographischer Lage ist das oben beschriebene Bildungssystem im Nahen Osten noch nicht soweit ausgereift wie unseres.

Bildung bedeutet für einen Staat immer Macht im Konkurrenzkampf mit anderen Staaten aber auch eine Gefahr, denn gebildete Menschen sind nicht so leicht zu unterdrücken.

Der erste Aspekt, also die Konkurrenzfähigkeit mit anderen Ländern, kann man sich anhand eines einfachen Ge-dankenspiels klarmachen: Wäre es möglich, dass wir mit mittelalterlichen Bauern Verträge schließen über Dinge, die sie gar nicht verstehen oder kennen? Wäre es heute möglich, Frieden mit einem kriegslüsternen Barbarenstamm zu schließen? Nein, das wäre es nicht. Denn Kommunikation zwischen Menschen setzt auch immer eine gewisse Bildung voraus. So wäre es selbstverständlich nicht möglich, dass wir mit einem Bauern aus dem Mittelalter einen Vertrag über genmanipulierten Mais schlössen, zumindest wäre nicht zu erwarten, dass er versteht, was er unterschreibt. Auch einen kriegslüsternen Barbarenstamm könnten wir nicht zu einem Frieden bewegen, nur durch unsere militärische Überlegenheit, die wir durch Bildung erlangt haben, können wir unseren Willen durchsetzen, zu unseren Konditionen. Angenommen der Barbarenstamm wäre so gebildet wie wir, so könnte er sich gegen uns durchsetzten oder zumindest unsere Überlegenheit eingrenzen. Er hätte die Möglichkeit, auch in seinem Interesse zu verhandeln. Ein weiterer Punkt, in der die Bildung die Konkurrenzfähigkeit des Landes steigert ist auch beim heutigen Ar-beitsmarkt festzustellen. Ohne eine immer größer werdende Bildung wäre es beispielsweise für China oder Indien unmöglich, mit dem Westen zu konkurrieren, von dieser Erkenntnis profitiert allerdings auch der Westen, denn dieser kann auf hohen technologischen Fortschritt etc. in den Schwellenländern zählen und aufbauen. Dies regt beide Seiten zu immer höheren Bildungsniveaus an.


Der zweite Aspekt ist der Grund vieler Revolutionen und landesinterner Umschwünge. Wieso konnte das Lehns-wesen zerstört werden? Weil die Leute von einigen gebildeten zum Protest aufgerufen wurden, deren Bildung also mit erlangten. Sie wurden quasi über ihre Möglichkeiten aufgeklärt, erleuchtet, wie auch immer man es nennen möchte. Und dies passiert auch in Saudi Arabien und vielen anderen östlichen Ländern: die Jugend studiert in westlichen Ländern, kommt dann in ihr Heimatland zurück und fängt dort an, an Bräuchen und Traditionen sowie Gesetzen etc. zu zweifeln und sie zu hinterfragen. Und da die Herrscher der Länder gegen die Massen nicht an-kommen, inhaftieren sie die radikalen Aktivisten um ein Exempel zu statuieren. Doch in dem Moment, indem sie die Leute in „gebildetere“ Länder ziehen und dann zurückkehren lassen, haben die Machthabenden, sollten sie die alte Ordnung beibehalten wollen, verloren.

Ein weiterer wichtiger Punkt der Bildung ist das Wohlbefinden der Menschen. Der Wunsch nach Vollkommenheit und einem entspannten Leben ohne Ärger, Anstrengung und Leid treibt die Bildung maßgeblich voran. Allein wenn man sich die Errungenschaft der Waschmaschine anguckt, so sieht man, dass eine gewisse Bildung nötig war, sie zu erfinden, allerdings erleichtert sie heute das Leben vieler hundert Millionen Hausfrauen und -männer.

Doch woher kommt die Bildung? Der Mensch hat die Eigenschaft zu lernen, sein Wissen aber auch weiter zu geben. Tiere haben diese Eigenschaft bedingt, sie drückt sich in Instinkten aus. Wurde eine gewisse Bildung über viele Generationen weitergegeben, so kann man meiner Meinung nach auch beim Menschen von Instinkten reden. Doch zurück zur eigentlichen Frage, woher die Bildung kommt. Es gibt Menschen, die an ein kollektives Wissen der Menschheit glauben, diese These halte ich jedoch für abwegig, allerdings könnte sich dieses Kollektivwissen in Instinkten ausdrücken. Die Bildung kommt also aus Erfahrungen, die vom Menschen verarbeitet werden, das heißt so aufbereitet werden, dass er sie an andere Menschen weitergeben kann. Dies setzt allerdings eine Kommunikationsbildung voraus, die sich genauso wie alle anderen Aspekte der Bildung über lange Zeit entwickelt hat. Ist der Grundstein für Bildung gelegt, so folgen neue Erkenntnisse etc. immer schneller aufeinander, die Bildung wächst, manche sagen exponentiell. Und irgendwann kommen wir zu dem Punkt, an dem in einer Zeitung, u.a. der New York Times, mehr Information vorhanden ist als ein als belesen geltender Mensch im 15. Jhd. In seinem ganzen Leben gesammelt hat.

Insgesamt lässt sich also sagen, dass die Bildung im heutigen Leben eine große Rolle spielt, sie ist die Voraussetzung für sinnvolles Menschliches Handeln, insbesondere im Zeitalter der Computer ist sie nicht wegzudenken. Sie spielt für den Staat eine wichtige Rolle bezüglich der Konkurrenzfähigkeit und des Lebensstandards, birgt allerdings auch die Gefahr des selbstständigen Denkens und damit Infragestellens der Machthabenden.


Links

Zurück zum Inhaltsverzeichnis der eingereichten Essays