Haben Kampfkünste heutzutage ihre Berechtigung verloren?

Aus Jugendsymposion
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von Maximilan Zander, 25. Februar 2010


Ich betreibe nun mittlerweile seit mehr als vier Jahren Aikido und seit einem dreiviertel Jahr Karate. Wenn ich erzähle, dass ich gleich zwei verschiedene Kampfkünste ausübe sehe ich häufig keine positiven Reaktionen. Ich merke oft, dass viele Leute denken, dass Kampfkünste keinen wirklichen Sinn verfolgen: man geht ins Training und freut sich darüber, sich mit anderen Menschen schlagen zu können. Das Kampfkünste viel mehr sind, als das bloße Besiegen eines Gegners, wissen die Meisten nicht. Aus diesem Grund habe ich mich mit Kampfkünsten auf einer theoretischeren Ebene als sonst befasst und habe versucht, mich in die Lage von Kampfkunst-Laien zu versetzten, um so ihre Vorurteile besser verstehen zu können und sie vielleicht auch zu entkräften.


Das allgemeine Bild der Kampfkünste kommt größtenteils aus sogenannten „Martial Arts“-Filmen und von Übertragungen von Wettkämpfen im Fernsehen oder ähnlichen Medien. Wer sich genauer mit den Kampfkünsten beschäftigt, bemerkt bald, dass die öffentliche Meinung zu den Kriegskünsten einer weitgehenden Fehlinterpretation entspricht. Fängt man an eine Kampfkunst zu praktizieren, weil man einen Film mit einem - vermeintlich - guten Kampfstil gesehen hat und nun ebenso wie der Filmheld kämpfen lernen will, wird man bald enttäuscht , da es erst eine sehr lange Zeitspanne bedarf, ehe man auch nur annährend gut kämpfen kann. Der Weg zu diesem Ziel ist noch dazu alles andere als einfach. Wer merkt, wie viel Zeit in eine Kampfkunst investiert werden muss, um auch nur kleine Fortschritte zu erzielen, wird, wenn er sich erhofft hat im Rahmen eines Wochenendkurses zum zweiten Bruce Lee zu werden, wahrscheinlich bald enttäuscht aufgeben. Doch dass eine Kampfkunst mehr sein kann als das Trainieren bloßer Techniken zum Kampf kann man früher oder später nach absichtslosem Trainieren erkennen. Wer mit gezielten Vorstellungen anfängt eine Kampfkunst zu praktizieren, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit enttäuscht werden, da es im Grunde keine Endstation, kein Ziel gibt. Man kann nicht sagen, dass man nach einer bestimmten Zeitspanne des Studiums einer bestimmten Kampfkunst ein bestimmtes Ziel erreichen kann. Unter anderem aus diesem Grund, wurden Wettkämpfe immer beliebter und Kampfkünste verkamen zum reinen Kampfsport ohne philosophischen Hintergrund. Kampfsport ist etwas Greifbares, man trainiert auf ein ganz bestimmtes Ziel, das man erreichen möchte. Dass dieses zielgerichtete Trainieren nicht den Sinn einer Kampfkunst wiedergibt, wird dann nur Wenigen klar.

Das öffentliche Bild der Kampfkünste hat unter der Entwicklung zum Wettkampfsport teilweise gelitten, da in den Wettkämpfen, die, abhängig vom Stil, mehr oder weniger brutal verlaufen, nie der geistige Aspekt zum Ausdruck kommt. Dass man in der heutigen Zeit, in der handgreifliche Auseinandersetzungen, im Gegensatz zum Mittelalter, eher die Ausnahme darstellen, das Kämpfen trainiert, ist für viele unverständlich. Dazu kommt teilweise noch die Annahme, dass das Praktizieren einer Kampfkunst gewaltfördernd ist. Gerade dieses Vorurteil führt in Zeiten von Schlagzeilen über hohe Gewaltbereitschaft zu einem teils recht schlechten Bild über Kampfkünste.

Dass ein erfahrener Kampfkünstler weit seltener in gewalttätige Handlungen verwickelt ist als ein „Kampfkunst-Unerfahrener“ ist oft nicht bekannt. Dieses, auf den ersten Blick widersprüchliche, Verhalten hat die Ursache darin, dass ein Kampfkünstler Erfahrung mit potentiell gewalttätigen Situationen hat, diese erkennt und entweder neutralisieren kann oder ihnen aus dem Weg geht, da er weiß, welche Folgen ein ungeregelter Kampf haben kann. Außerdem haben Studien ergeben, dass ein Opfer einer Gewalttat auch als Opfer auftritt, bevor es belästigt wird. Jemand mit ängstlicher und schwacher Ausstrahlung wird auch als ängstlicher und schwacher Mensch wahrgenommen und das Risiko, Opfer einer Gewalttat zu werden, steigt für ihn an. Im Gegensatz dazu strahlt ein Kampfkünstler nach langjährigem Training im Idealfall ein gesundes Maß an Selbstbewusstsein aus und kommt dadurch als Opfer gar nicht erst in Frage. Ein weiterer Grund für die geringe Gewaltbereitschaft von Kampfkünstlern ist, dass beim Training eventuell vorhandene Aggressionen abgebaut und kontrolliert werden können. Außerdem wird in den meisten Kampfschulen auf die Verhältnismäßigkeit von Angriff und Verteidigung großen wert gelegt. So darf zum Beispiel ein blauer Fleck nicht mit einem gebrochenen Arm vergolten werden, da sonst auch mit rechtlichen Maßnahmen gegen den eigentlichen Verteidiger zu rechnen ist.

Anfangs war das, was man heute als Kampfkünste bezeichnet, nicht mehr und nicht weniger als Techniken zum Töten des Gegners. Doch seitdem Kampfkünste existieren, werden sie weiterentwickelt, durch neue Systeme abgelöst oder durch neue Waffen überflüssig. So wurde zum Beispiel das Bogenschießen von Feuerwaffen abgelöst.

Da den Kriegskünsten jedoch auch nützliche erzieherische Werte innewohnten, erkannte man früh einen Vorteil darin die Kampfsysteme für kommende Generationen zu erhalten. Man versuchte einerseits die Kriegstechniken so zu modifizieren, dass sie friedlich gefahrlos trainiert werden können, andererseits aber nichts an ihrer Wirksamkeit einbüßen. Bei der Lösung dieses Problems hatte man mehr oder weniger Erfolg: Beim Kendo (japanischer Schwertkampf) zum Beispiel, wurde das Schwert durch eine Attrappe aus Bambus, die das selbe Gewicht und die selbe Größe des ursprünglichen Schwertes hat, ersetzt. Mit der passenden Schutzkleidung können so alle Techniken ungefährlich geübt werden. Kendo ist im Gegensatz zu Sportarten wie Fußball oder Tennis bedeutend verletzungsärmer. Im Karate müssen Schläge und Tritte vor dem Auftreffen abgebremst werden, so dass keinerlei Trefferwirkung entsteht. Jedoch konnte so keine realistische Einschätzung erfolgen, was passieren würde, wenn die Schläge und Tritte mit voller Härte ausgeführt würden. Aus diesem Grund wurden sogenannte Bruchtests eingeführt. Dabei werden Bretter, Ziegel oder Steine mit Händen oder Füßen zerschlagen. Auch in vielen anderen Kampfkünsten werden heute Bruchtests durchgeführt. So kann gefahrlos trainiert werden, allerdings ist die Realitätstreue eines echten Kampfes nicht mehr vollständig erhalten geblieben.

Die Wirksamkeit des Judo entstammt der Tatsache, dass der Gegner auf harten Boden geworfen wurde, was zu schweren Verletzungen führen konnte. Dieses Risiko wurde dadurch behoben, dass am Anfang einer Judokarriere das richtige Fallen gelernt wird und nur auf elastischen Reisstrohmatten (Tatami) trainiert wird.

Doch die Erhaltung des eigentlichen Sinnes der Kampfsysteme wurde nicht immer erreicht. Das Speerwerfen hat heutzutage nichts mehr mit dem eigentlichen Ziel zu tun, da es zu einer reinen Rekorddisziplin verkommen ist, wo es nur auf die Weite des Wurfes und nicht auf die Zielgenauigkeit ankommt.

Jedoch wurden teilweise trotz der zunächst guten Lösung des Problems, die Kampfkünste ungefährlicher zu machen, weitere Veränderungen vorgenommen. Dies führte dann manchmal dazu, dass die Kampfkünste einer größeren Masse zugänglich gemacht wurden, dadurch aber auch an Effektivität für einen realen Kampf verloren.

Oft werden Kampfkünste nur noch als Kampfsport, bei denen es auf gute Ergebnisse im Wettkampf ankommt, praktiziert und haben daher fast keinen Selbstverteidigungswert mehr. Heute ist das große Ziel vieler Kampfkünste olympisch zu werden. Es werden immer mehr Regeln aufgestellt, so dass Wettkämpfe oft nicht mehr durch aktiv erworbene Punkte gewonnen werden, sondern nur durch Strafpunkte des Gegners.

Kampfkünste bleiben wertvoll, wenn sie nicht zum reinen Wettkampfsport verkommen, sondern ihre ursprüngliche kriegerische Effektivität und ihre geistigen Werte behalten. Die Stärke der Kampfkünste liegt mehr im Menschen-Bildenden; die Fertigkeiten zur Selbstverteidigung sind eigentlich nur ein positiver Nebeneffekt. Werden jedoch die erzieherischen Werte zugunsten von Konkurrenzfähigkeit vernachlässigt, wird ein großes Potential verschwendet. Meiner Meinung nach besitzen die Kampfkünste immer noch ihre Berechtigung in der Gesellschaft, das Problem liegt vielmehr darin, dass das, was aus den Kampfkünsten in der heutigen Zeit gemacht wird nur noch wenig mit den eigentlichen Zielen der Kampfkünste zu tun hat.

Betreibt man eine Kampfkunst ernsthaft und lässt sich auf das, was einen dadurch gegeben wird auch ein, kann der eigene Charakter an dem Training wachsen und geformt werden. Die praktischen Fähigkeiten zur Selbstverteidigung, die zusätzlich erworben werden, werden zwar nie oder nur äußerst selten gebraucht, doch sollte man einmal in eine bedrohliche Situation kommen, können sie auf keinen Fall von Nachteil sein.


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Maximilian Zander


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