Essays zum Thema »Zukunft« (Auswahl)

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Essays zum Thema »Zukunft« (Auswahl)

Thema 3
»Der Mensch ist nichts an sich. Er ist nur eine grenzenlose Chance. Aber er ist der grenzenlos Verantwortliche für diese Chance. « - Albert Camus

Verantwortung des Selbst
Die wohl gefährlichste Frage, die einem Menschen vorgebracht werden kann, ist nebst derer, die ihn nach der Absurdität des Lebens befragt, diejenige, welche in Erfahrung bringen will, welche Verantwortlichkeit das bewusste Individuum trifft, für dasjenige was es vollbringt und noch viel mehr für jenes, das gar nicht erst begonnen wird. Camus‘ Aussage zu jenem Thema soll der Initialgedanke für diesen Essay sein und Sisyphos, der mit ihm allzu häufig in Verbindung gebracht wird, einmal beiseitegelassen werden. Er wird es uns verzeihen.
Die eingangs erwähnte Gefährlichkeit diente nicht dem Ringen nach Aufmerksamkeit in den Bergen aus Veröffentlichungen zu dem Thema Verantwortlichkeit des Menschen, sondern betrifft seine Existenz unmittelbar. Denn wem Verantwortung zugeschrieben wird, dem ist ein hohes Maß der Selbstständigkeit zugesprochen und inwiefern diese ein Segen sein kann, bleibt noch im Ungewissen. Die Verantwortlichkeit des Menschen zu ermitteln, oder zumindest einige interessante Gedanken über sie zu präsentieren – was wohl seit jeher die Aufgabe der Philosophie war, die abgesehen von der ontologischen und von Frege und Wittgenstein erweiterten Logik, nie ein beweisbares Resultat von allgemeiner Gültigkeit hervorbrachte – sei als Intention dieses Essays gesetzt. Eingrenzend soll dazu bemerkt werden, dass es aus formalen Gründen nicht möglich ist, auf tiefsinnigere Konnotationen des Zitates von Camus einzugehen, obgleich er wohl zu denjenigen Denkern gehört, bei denen es sich als lohnenswert erweist, sich ihre Werke auf der Zunge zergehen zu lassen. Nun mitten hinein in die drei Sätze. Der Existenzialist aus Frankreich möchte seinen Lesern vorbringen, dass sie nichts an sich seien. Ist das ein impliziter Vorwurf? Nein, stattdessen das Absprechen aller dem Menschen zugehörig geglaubten Aspekte, welche sich nicht in seinem durch die Tat zum Ausdruck gebrachten Potenzial verwirklichen. Grenzenlos sei diese Chance und ebenso wie sie auch die Verantwortung für das durch die Tat Geschaffene. Camus scheint mir ein wenig optimistisch zu sein mit seiner Chance, denn die Grenzenlosigkeit könnte sich nicht auf dasjenige beziehen, was selbst endlich ist. Das Selbst ist endlich. Dafür sind keine weiteren Beweise darzubringen als diejenigen, welche erkannt werden, wenn ein offenes Auge durch die Welt blickt. Obgleich ich dazu geneigt bin, ihm bezüglich der Verantwortlichkeit zu affirmieren. Doch bliebe zu erfragen, inwiefern dem, das nichts an sich ist, Verantwortung zukommen könnte. Denn wäre ihm diese von Anfang an zugeschrieben, so wäre der Mensch auch nicht nichts an sich. Camus kann also diesbezüglich nur so interpretiert werden, dass sobald eine Tat vollbracht wird, die Verantwortung für sie einkehrt. Auf diese Weise wäre es ein Leichtes, der Verantwortung durch die Untätigkeit zu entrinnen. Doch da der Mensch als solches ein Potenzial ist, trüge er auch Verantwortung für seine Passivität. Woraus ein möglicher Widerspruch bei Camus (innerhalb dieses Ausschnitts) folgte, da die Verantwortung sich mit dem die Welt erblickenden Kind gebären würde. Der Mensch ist nach Camus also nichts als Verantwortung mit grenzenlosem Potenzial, doch über dieses verfügt er als endliches Wesen nicht. Es sieht düster für uns aus. Damit wären wir bei einem dieser Probleme, die nur diejenigen haben, welche die Möglichkeit haben, sich solchen Gedanken hinzugeben. Die Problematik die darin liegt, ist, dass derjenige, der sich mit solcher Philosophie beschäftigt, nicht aus einem Elfenbeinturm blickt, sondern selbst in der Welt involviert ist und nun scheinbar auch noch Verantwortung dafür tragen muss. Wie können moderne und postmoderne sozioökonomische und politische Entwicklungen auf ein Fundament der Verantwortung gestellt und welche Maßstäbe können für sie angesetzt werden? Der Denker mag seiner Gedanken Rechenschaft über seine Taten schuldig sein, nicht aber der Täter, welcher sich in einem deutlich extremeren qualitativen Ausmaß in der Wirklichkeit manifestiert, als der Philosoph. Dies ist eine Problematik bezüglich der Umsetzung von Verantwortlichkeit. Es könnten nun lange Debatten über moralische Zukunftsentwicklungen folgen, über das Unrecht auf der Welt und über mögliche Abgründe und Krisen auf die wir uns durch unser Handeln zubewegen. Doch bedürfte es keiner Lehrstühle für Ethik um festzustellen, dass es Probleme auf einer Welt mit etwa 795 Millionen hungernden und parallel dazu mit 64 Menschen, die so viel besitzen, wie die Hälfte der Menschheit gibt. Es ließen sich zahlreiche weitere Probleme der Zukunftsentwicklung anschließen, doch ist die eigentliche Problematik nicht das denkerisch zu lösende Problem, sondern die Handlung derjenigen, die Einfluss nehmen könnten. Und das sind nicht die Philosophen. Es gilt also sich davon zu verabschieden, die Welt im großen Ausmaß verändern zu können. Wer das glaubt, geht mit Platzverweisen der Polizei von Demonstrationen, die fordern, dass in leerstehende Gebäude Menschen einziehen sollten, die sonst erfrieren würden. „Der Mensch“ ist von Camus viel zu abstrakt formuliert. Viel direkter könnte die Gültigkeit seiner Aussage dadurch zum Ausdruck gebracht werden, dass „der Mensch“ zum „Selbst“ avanciert und die „grenzenlose Chance“ zum kurzen Leben mit eingeschränkten Möglichkeiten verkürzt wird. Immerhin beinhaltet dies auch einen Freispruch von zahlreicher Schuld, die man sich sonst auflüde. Doch nun sei die Frage nach der Verantwortlichkeit des eigenen Selbst für die Taten, welche begangen werden, gestellt. Nur wenn dieses frei wäre, könnte es auch grenzenlos frei sein. Dass dessen Möglichkeiten und Handlungsoptionen eingeschränkt sind, wird im täglichen Scheitern an dem Versuch den gesellschaftlichen Makrokosmos zu gestalten evident. Doch wie kann eine Verantwortlichkeit für das eigene Denken und für die daraus resultierenden Taten formuliert werden? Abgesehen von einigen lichten Momenten des Geistes ist dessen biologisches Fundament nicht selten durch triebhafte Bedürfnisse vielfältigster Art, die der Evolution entspringen, getrübt. Dies wirkt bis tief in die politische Willensbildung ein, wie Drew Westen zeigt, wenn er experimentell beweist, dass nicht der vernunftorientierte Teil des Gehirns (der für verstandesbetonte Entscheidungen notwendig wäre), sondern diejenigen Regionen, die für die Emotionen zuständig sind, welche dafür sorgen, im Sozialgefüge zu überleben, bei der politischen Willensbildung aktiv sind. Inwiefern sind wir also tatsächlich frei und nicht biologisch determinierte Maschinen (?). Postuliert den Fall, es gäbe die Möglichkeit tatsächlich auch gedankliche Freiheit zu erlangen (dies zum Ermitteln ist des Psychologen und Biologen Aufgabe, nicht die des Philosophen, welcher sich in spekulativer Metaphysik verlöre) und zu daraus resultierenden Handlungen, die der Verantwortung unterzogen werden könnten. Säße dieser Mensch in seiner Denkerklause oder hätte er entscheidenden Einfluss auf die Welt? Sicherlich hätte er in der kapitalistischen Demokratie die Freiheit, das Vorgehen der Politik zu kritisieren. Doch gewiss nicht die Möglichkeit sie entscheidend zu beeinflussen. Dem steht die unreflektierte Masse gegenüber, die Parteien wählt, die nur dank gesponserter Wahlkämpfe die Legislative und Exekutive bekleiden und dementsprechende Interessenvertretungen vornehmen. Des Menschen Verantwortung kann sich also nur auf das Selbst in dem Maße beziehen, in dem es Handlungsfreiheit hat und in der Reichweite, die dessen Endlichkeit zulässt. Am Ende bleibt bedingt die eigene Tat, welche sich so zu gestalten hätte, dass sie nach denjenigen Maximen verfährt, die im Kollektiv ausgerichtet zu einer verantwortlich gestalteten Gegenwart und Zukunft führen würden. Diese Erkenntnis ist der Schutz vor der Ideologie und Utopie und kann eine Basis für die Diskussion der Zukunft darstellen. Denn auch wenn die Verantwortlichkeit des eigenen Selbst auf dessen Taten begrenzt ist, bleibt die Verantwortung für die Welt, dessen Teil es ist, erhalten und somit auch die Möglichkeit im Sinne anderer Individuen und den unbewussten Teilen der Natur zu handeln. Doch halte ich es für unabdingbar, sich jene erläuterte Beschränkung im Bewusstsein zu halten, um nicht der illusionären Zukunftsvision zu verfallen und um das Appellieren an moralische Empfindungen anderer zu begrenzen, welches ins Leere läuft, wenn sich jene nicht ihrer Verantwortlichkeit bewusst sind. Denn diese tritt erst dann wirklich ein, wenn sie durch das selbst akzeptiert wurde und keine Zuschreibung an andere darstellt.

Rico André Schmitt