Eindrücke einer Reise in das Land zwischen Mittelmeer und Jordan

Aus Jugendsymposion
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Auf der Suche nach Klarheit

von Assia Bitzan, 4.9.2010

Es ist ein früher Abend im August. Die Hitze, die mir entgegenschlägt, als ich die schön gestaltete Ankunftshalle des Ben Gurion Flughafens in Tel Aviv verlasse, ist drückend. Wir, das sind meine Mutter und ich, wollen ein „Sherut“, ein Sammeltaxi nach Haifa nehmen, doch als nach einer Dreiviertelstunde immer noch keiner der acht erforderlichen Mitreisenden aufgetaucht ist, entscheiden wir uns doch für den Zug. Als wir endlich das richtige Haus gefunden haben, begrüßt uns meine Bekannte, die seit sieben Jahren in Israel lebt. Ihre Mutter ist Israelin, doch sie ist in Deutschland geboren und in Kanada aufgewachsen. Jetzt lehrt sie Wirtschaftsenglisch an einer technischen Hochschule und ist zufrieden in Israel. Als wir auf die Wahl ihres Wohnortes zu sprechen kommen meint sie, dass sie Israelin sei. Der größte Teil ihrer jüdischen Familie lebe hier, das Land sei ihr Zuhause. Am nächsten Tag zeigt sie uns ihre Stadt, erklärt viel, übersetzt eine Führung durch das höchste Heiligtum der Bahai-Religion aus dem Hebräischen ins Deutsche. Sie ist oft hier, um Freunden und Verwandten, die Israel erkunden wollen, das Wahrzeichen der Stadt zu zeigen. Und genauso oft führt sie Leute durch das arabische Stadtviertel Wadi Nisnas. Heute werden hier das Ende des muslimischen Ramadan mit dem jüdischen Neujahr zusammen in einem großen Straßenfest gefeiert, erzählt sie. Dass die Araber bei der jüdischen Staatsgründung gezwungen wurden, in dieses Viertel zu ziehen, erfahren wir später. Als wir an einem kleinen Lotterie-Häuschen vorbeikommen, erinnert sie sich, dass es das einzige Geschäft war, dass während des Krieges vor vier Jahren offen war. Alle anderen Läden waren wegen der Bombardierung der Stadt geschlossen. Auf die Frage, wo sie denn bei den Alarmen hingegangen sei antwortet die junge Frau, dass sie in der Wohnung geblieben sei. Hätte eine Bombe ihr Haus getroffen, wäre es sowieso zu spät gewesen, in den Bunker zu flüchten. Als wir später wieder zu Hause sind und uns mit ihr über eine Maßnahme der israelischen Politik unterhalten, reagiert sie ganz erstaunt auf die Frage, wie weit sie diese denn unterstütze. Natürlich stehe sie hinter der Politik, es sei doch immerhin ihre Regierung, wieso solle sie der nicht vertrauen? Hier wird mir zum ersten mal klar, dass das Verhältnis zu dem eigenen Staat, dessen Regierung und dessen Militär hier ein vollkommen anderes ist, als das der Deutschen zu dem ihren.

Als wir der Mitbewohnerin meiner Bekannten mitteilen, dass wir in den Golan fahren, erzählt sie, dass sie dort ihren Militärdienst gemacht habe und die Region wunderschön sei (was wir später auch feststellen, obwohl uns die Vorstellung, dass dies der Schauplatz eines Krieges war, nicht ganz frei genießen lässt). Dabei erzählt sie nichts von dem Militärdienst selbst, weil der ganz selbstverständlich im Lebensweg aller Israelis (außer dem der israelischen Araber) nach der Schule und vor der weiteren Ausbildung kommt. Die Frauen, oder eher Mädchen, gehen für zwei, die jungen Männer für drei Jahre in die Armee, manche davon verlängern auf fünf Jahre oder bleiben ganz. Eine „Kriegsdienstverweigerungs-Kultur“ wie in Deutschland gibt es nicht, da diese strafbar ist. Da alle 18-21 Jährigen bei der Armee sind, sieht man natürlich auch viele SoldatInnen in der Öffentlichkeit. An die vielen MPs, die diese meist dabeihaben, müssen wir uns genauso erst gewöhnen, wie an die Taschenkontrollen vor den Supermärkten. Aber viele sind überzeugt, dass der israelische Staat seine Verteidigung brauche, da er starke Feinde habe. Die Bürger müssten ihre Familien beschützen. Die Mauer entlang der „Grünen Linie“, der Grenze zum Westjordanland sei ein Schutz, der den Israelis ein Stück weit ihre ständige Angst vor Selbstmordattentaten nehmen könnte, doch er reiche nicht aus. Israel müsse den Staat, der nach der langen Geschichte voller Leid und Vertreibungen endlich entstanden sei, verteidigen.

Schon jetzt, morgens um zehn, ist es so heiß, dass wir die Wartezeit bis zur Abfahrt des arabischen Busses lieber in dem klimatisierten Fahrzeug verbringen, als über den Souk, den Markt, zu streifen. Endlich steigt der Fahrer ein und es geht los: Weg vom Damaskustor - hinter dem Massen von Pilgern Holzkreuze die Via Dolorosa entlang schleppen, hinter dem arabische Händler ihre waren anpreisen und orthodoxe Juden in ihren traditionellen Gewändern zum Gebet an die Westmauer, bei uns besser bekannt als Klagemauer, eilen - durch den Ostteil Jerusalems bis zum Checkpoint. In diese Richtung gibt es keine Kontrollen und so sind wir schnell in Beit Jala, wo der Busfahrer uns wie gebeten vor dem Tor der Schule Talitha Kumi aussteigen lässt. Hier erwartet uns schon ein Leiter der Pfadfinder, die zu der Schule gehören, welche von der deutschen evangelischen Kirche aufgebaut und finanziert wurde. Er erzählt uns von den Sommercamps und zeigt uns das Pfadfinderhaus und Bilder. Dann kommt der „Big Leader“ der Pfadfinder, welcher uns ohne Nachfragen seine Geschichte erzählt. Ich darf sie aufnehmen, nur muss ich ihm versprechen, die Aufnahmen nur für mich privat zu verwenden. Er ist schon lange ehrenamtlich bei den Pfadfindern engagiert und genauso lange setzt er sich schon für den Frieden in Nahost ein. Er hat keinen Hass auf die Israelis, wie ihn doch einige der Palästinenser haben. Er will Friede und dafür hat er schon ganz schön viel unternommen. Er hat Pfadfinderlager mit Israelischen und palästinensischen Jugendlichen organisiert, hat Gespräche zwischen beiden Seiten gefördert und war schon oft in Deutschland, wo er auch mit israelischen Delegationen in Kontakt kam. Doch diese Aktionen sind seit der zweiten Intifada schwieriger geworden, ja eigentlich nicht mehr möglich. Er darf nicht mehr nach Jerusalem, da die Mauer den Weg versperrt und er keine Genehmigung bekommt. Als er wegen Herzproblemen dringend in ein Krankenhaus gebracht hätte werden müssen, musste er mit dem eigenen Wagen bis zur jordanischen Grenze fahren, von wo ihn dann ein Krankenwagen in die nächste Klinik fahren durfte. Doch er gibt nicht auf, auch in die aktuellen Verhandlungen zwischen Palästinensern, Israelis und Amerikanern setzt er Hoffnung. Vielleicht bringen sie ja wenigstens einen Siedlungsstopp, damit nicht noch mehr Gebiete, in die die Pfadfinder früher zum Wandern gefahren sind, abgeriegelt werden, um den Siedlern Platz für ihre Villen zu schaffen. Das erzählt er uns auf dem Weg nach Bethlehem, wo er uns eine kurze aber inhaltsreiche Führung durch die Geburtskirche und das Haus seiner Schwiegereltern gibt. Schon geht es wieder zurück, in Beit Jala wird noch schnell Öl gewechselt, dem Bruder werden Fladenbrote in „den besten Imbiss Palästinas“ gebracht und es werden Falafeln und Hommus mitgenommen. Zu Hause bei ihm erwartet uns schon seine Frau und die drei Kinder. Vor dem Essen bekommen wir noch ein paar Fotos zu sehen, die das Haus der Familie zeigen, nachdem israelische Panzer es beschossen hatten. Der Grund für diesen Angriff ist nicht ganz klar, er vermutet aber, dass es mit seinen Friedensbemühungen zu tun hat. Sein Vater ist von der Wucht des Einschlags aus dem Haus geschleudert worden und sieben Jahre später an den Spätfolgen der Verletzungen gestorben. Doch jetzt wartet ein leckeres Mahl. Die Familie scheint es gewohnt zu sein, dass der Vater Gäste mitbringt und so ist es auch nicht verwunderlich, dass wir kurz darauf bei der Großmutter auf dem Sofa sitzen und arabischen Kaffee trinken. Unser Gastgeber erzählt uns eine Geschichte, mit der er die Situation in seinem Land beschreibt: Stell dir vor, du sperrst eine Katze in einen kleinen Raum. Nach einem Tag kommst du zurück. Was tut sie? Sie miaut und bittet dich, sie wieder freizulassen. Du lässt sie aber weiter in ihrem Gefängnis und kehrst erst am folgenden Tag wieder zurück. Was tut sie nun? Ihr ist es zu eng in ihrem Gefängnis und sie wird langsam ärgerlich. Am nächsten Tag ist sie schon wütend, springt dich an und kratzt dich. Für den vierten Tag gibt es nun verschiedene Möglichkeiten. Entweder, die Katze tötet dich und hat dann wieder ihre ursprüngliche Freiheit erlangt. Oder, du tötest die Katze und hast deine Ruhe. Oder aber, du machst der Katze so viel Platz, dass sie an dir vorbeilaufen kann und ihr beide friedlich nebeneinander leben könnt.

Nun müssen wir aber schnell weiter, da ich noch mit einem Jugendlichen reden möchte, der bei den Pfadfindern in Talitha Kumi aktiv ist. Auch in seiner Familie werden wir herzlich empfangen, bekommen Videos von Pfadfinder-Umzügen zu sehen und der Junge erzählt begeistert von den Camps und den Gruppenstunden, in denen sie das Dudelsackspiel erlernen. Es sei das Größte, bei einem Umzug nach Jerusalem fahren zu dürfen und dort im Dudelsack-Orchester zu spielen. Leider haben wir nicht mehr viel Zeit, so tauschen wir noch schnell Mailadressen aus und dann müssen wir auch schon den Rückweg antreten. Der Vater und die 14-jährige Tochter fahren uns bis zum Checkpoint. Als wir uns dort verabschieden und bedanken wollen, teilen sie uns mit, dass sie uns noch durch den Checkpoint begleiten werden. So führen sie uns durch das Labyrinth von Gängen, bis wir auf eine Menschenansammlung stoßen. Der Mann erklärt, dass diese Leute alle über den Checkpoint wollen. So wie auch er jeden Morgen vor der Arbeit (er ist einer der wenigen, die noch Arbeit in Jerusalem haben) drei Stunden früher am Checkpoint sein muss, da er nie wissen kann, wie lang es diesmal dauert, bis er die Kontrollen hinter sich hat. Manchmal hilft er den israelischen Soldaten, dass die Menschen geordnet durch die Kontrollen gehen. Jetzt sind wir an dem Apparat angekommen, der unsere Taschen und Schuhe durchleuchtet. Danach kommt die Pass-Kontrolle und dann sind wir „drüben“. Diesmal ging es verhältnismäßig schnell, doch wenn alle Arbeiter aus Bethlehem und Beit Jala morgens nach Jerusalem fahren wollen, dauert es oft zwei, drei Stunden. Unsere Begleiter gehen mit uns noch bis zur ersten Bushaltestelle. Auf dem Weg sagt der Vater plötzlich, dass seine Erlaubnis, auf der israelischen Seite zu sein, um 19 Uhr, also jetzt, ablaufe. Bestürzt fragen wir, wie er denn jetzt nach Hause komme, doch er meint, es würden eben wieder die Fragen kommen, wo er gewesen sei, warum er zu spät sei und so. Doch da er sich am Checkpoint stets ruhig und sogar hilfreich verhalte, würden sie ihn schon durchlassen. Es ist uns sehr unangenehm, dass er sich, nur um uns zum Bus zu bringen, in Gefahr begibt, doch jetzt können wir es auch nicht mehr ändern. Zum Abschluss sagt er, dass Gott ihm und seiner Tochter schon helfen werde, zurück zu kommen. Wieder im Bus merke ich plötzlich, wie erschöpft ich bin. All diese Erlebnisse und verschiedenen Eindrücke müssen verarbeitet werden.

Wieder zurück in Deutschland. Beim Erzählen merke ich, dass ich nichts verstanden habe. Natürlich habe ich viele neue Erkenntnisse und Informationen über dieses Land, seine Einwohner und den Konflikt erworben. Doch ich kann nicht behaupten zu verstehen, was dort vorgeht. Ich bezweifle, dass überhaupt jemand diesen Konflikt gänzlich versteht. Und noch viel weniger als vor meiner Reise finde ich, dass eine Seite mehr „Recht“ hat. Ich habe die Geschichten von Israelis gehört und persönlich sehr gut nachvollziehen können, dass sie ihre Familien vor den Selbstmordanschlägen und der sonstigen Bedrohung durch die arabischen Länder schützen wollen, zum Beispiel durch den Mauerbau. Auch war ich in der Holocaust-Gendenkstätte Yad Vashem und habe intensiver als je zuvor die Geschichte der Juden erfahren, habe Zeitzeugen-Interviews gehört, in denen von der jahrelangen Verfolgung und Heimatlosigkeit die Rede war. Auf der anderen Seite habe ich Palästinenser getroffen, die durch die Mauer von ihren Arbeitsplätzen getrennt wurden. Menschen, die täglich die Demütigung einer Ganzkörper-Untersuchung durch Soldaten mit der MP im Anschlag über sich ergehen lassen müssen und die durch den Siedlungsbau heimatlos wurden. Ich habe habe Häuser gesehen, die von den israelischen Truppen zerstört wurden.

Doch seit dieser Reise ist die Region zwischen Mittelmeer uns Jordan ganz anders in meinem Bewusstsein verankert, als davor. Ich denke nicht nur an Hamas-Attentate und Invasionen der israelischen Armee. Ich denke viel eher an ein Gebiet, in dem viele verschiedene und wunderschöne Landschaften zu finden sind und in dem drei Weltreligionen ihr Zentrum haben. Und ich denke an Menschen, die einfach nur Frieden wollen und sich schon Jahre lang darum bemühen, auf der einen, wie auf der anderen Seite.

Assia Bitzan, Reutlingen

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