Die Entwicklung des Bewusstseins vollzieht sich je nach Grundlage mit der das Individuum konfrontiert wird

Aus Jugendsymposion
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von Wiebke Pala, 24. September 2010


Der Stiel der Quecke ist radikant, ebenso wie die Wurzelschösslinge der Erdbeerpflanze: Sie treiben neben der Hauptwurzel Sekundärwurzeln. Der Radikant entwickelt sich je nach dem Boden, der ihn aufnimmt, er folgt seinen Windungen, passt sich seiner Oberfläche und seinen geologischen Komponenten an: er übersetzt sich in die Terme des Raumes, in dem er sich entwickelt.1

Am Beispiel von: Fourier, Anna-Liesbeth


Manche vergleichen sie mit einer Libelle.

Libelle, auch gemeine Wasserjungfer/Odonata genannt. 1-13 cm lang, räuberisch am Wasser lebend. Starre, schillernde, feinhäutige Flügel. Dem Schillern der Libelle gleicht Anna-Liesbeths Seele, in ihrem täglichem Auftreten, mit ihrer Präsens und Intelligenz. Wenige Menschen sind in der Lage ihre Gedankengänge zu greifen, geschweige denn sie zu durchblicken. Anna-Liesbeth lebt in einer kleinen - von ihr gestalteten und für sie zum besten ausgerichteten – Welt. Dem räuberischem Wesen der Libelle gleicht sie ebenfalls: Kritik-unfähig, in vielen Zusammenhängen schnell gereizt und dann beleidigend.


A.L.: »Ich verletze die Menschen nicht in böser Absicht, bewusst bin ich mir dessen jedoch durchaus. Das ist mein persönlicher Schutzmechanismus. Wenn ich dadurch eine Distanz zwischen mich und die Menschen bringen kann...ist mir das recht. Als Kind hatte ich enormes Vertrauen in die Welt, heute jedoch kann ich nicht mehr an sie glauben. Menschen sind mir überaus fremd und unsympathisch, manche sind mir unerträglich. Sie sind unfähig zu fühlen. Was ich jeden Tag fühle ist zu viel und zu extrem für eine einzige Person. Besonders im Bezug auf meine Mutter sollten sie – die sterblichen – ihre geschwätzigen und unklugen Worte noch einmal gründlich überdenken. Menschen spekulieren gerne. Sie denken sie wüssten Bescheid darüber, sie sprechen mit Wonne über diese „Verrückte“- Sie wissen nicht Bescheid.«


Ihr Gehirn könnte man mit einem sehr genauem Mikroskop vergleichen.

Ein Gerät zum beobachten von sehr kleinen Objekten bzw. Objekteinzelheiten. Sie analysiert Alles.

Anstelle von Lichtstrahlen oder Elektronenstrahlen, Ionenstrahlen oder Röntgenstrahlen verwendet Anna-Liesbeth Gedankenstrahlen. Das Objekt auf dem Objekttisch wird bei ihr nicht mit eingespiegeltem Tageslicht oder mit Hilfe eines Beleuchtungsapparates beleuchtet, sondern mit der Wahrheit konfrontiert. Anna-Liesbeth konfrontiert immer mit Wahrheit.

Sie lebt in ihrem Mystizismus, denn sie hält Geheimnisvolles und Wunderbares für höherwertig. Anna-Liesbeth, Anna-Liebenswert.


A.L.: »Die meisten Menschen glauben ich sei arrogant. Das verletzt mich sehr. Mein Alltag sieht halt anders aus als der von anderen Menschen. Abnormal. Es gibt eine psychische Erkrankung, fachlich richtig nennt man diese manchmal eine psychisch dissoziative Persönlichkeitsstörung. Die Dissoziation ist in der Chemie die Aufspaltung von Molekülen in kleinere Moleküle, Radikale und Atome. Wenn ein Mensch dissoziiert spaltet er sich selbst. Er hat dann viele Persönlichkeiten. Eine Persönlichkeitsspaltung ist ein umgangssprachlicher Ausdruck für ein Grundphänomen der Schizophrenie. „ Seelenspaltung “. Meine Mutter besitzt mehrere besonders überzeugende Identitäten, viele ausgeprägte Individualitäten - eine multiple Persönlichkeit. Sie hat sich verändert - besonders im Bezug auf ihr Denken und Fühlen – so das sie nicht mehr sie selbst zu sein scheint. Deshalb hört und sieht sie Dinge, welche die Anderen nicht erleben. Sie zieht sich innerlich immer weiter zurück.«


Anna-Liesbeth nimmt die Welt intensiv war und hat die Gewissheit des „ Ich selbst “ im Denken und Wahrnehmen. Sie hat eine besondere Art etwas zu erleben. Sie erfährt seelische Vorgänge als gegenwärtig und in ihrer Zugehörigkeit zum »Ich«. Dies ist ein ausgeprägtes Bewusstsein.


A.L. : »An manchen Tagen bin ich betrunken vor Glück. Sonnentage. Das sind die normalen Tage, an denen ich nach hause komme und der Zustand meiner Mutter relativ stabil ist. Dann freuen wir uns darüber das wir uns haben und das wir leben. An diesen Tagen erzähle ich ihr Alles. Manchmal können wir sogar spazieren gehen. Das ist gesund für sie, denn ich kann nie abschätzen wie lange die folgende Periode des instabilen Zustandes - in der sie nicht in der Lage sein wird unter Menschen zu gehen – andauern wird. Ich liebe diese Tage, denn meine Seele erholt sich und tankt Lachen. Die Forschung ist sich heutzutage einig, dass es „die eine Ursache“ der Krankheit nicht gibt. Vielmehr ist die Entstehung der Erkrankung an mehrere Faktoren gebunden: 1.Außergewöhnliche Belastung; 2.Ein Zu-viel an Nähe und Zuwendung kann überfordern; 3.Vererbung; 4.Stoffwechselstörungen im Gehirn. Erklärung: Die Übermittlung der Impulse von einer auf die andere Nervenzelle im Gehirn erfolgt durch Signalstoffe. Dopamin ist einer von diesen vielen Botenstoffen. Eine andere wichtige Substanz ist Serotonin. Bei der Seelenspaltung liegt in Überschuss an diesen Botenstoffen vor.

Furchtbar ist es, wenn mein getanktes Lachen aufgebraucht ist, dann ist Leere. Da gibt es diese unerträglichen Leerlauftage, sie sind voll von ziellos und sinnlos erscheinenden Abläufen. Die Nervenenden im Gehirn meiner Mutter sind stark geschädigt. Ihre Anfälle und Zusammenbrüche sind anstrengend – besonders für sie selbst- deshalb degenerieren sich die Nerven bei jeder Abspaltung. Da sind Bilder in ihrem Kopf die sich unaufhaltsam aufdrängen und sie in frühere traumatische Situationen zurück versetzen. Situationen aus ihrer Kindheit. Um diesen Erinnerungen zu entkommen schalten psychisch Kranke oft den Schmerz dazwischen. Denn Schmerz überlagert, als stärkeres Signal an die Nervenzellen, die Erinnerungen. Oft verletzen sich Opfer dieser Krankheit selbst.

Ich werde immer ungehalten wenn Freunde mich fragen. Weshalb meine Mutter solche abartigen Narben hätte. Manche schweigen auch, sie fragen noch nicht einmal- Über so etwas wollen sie nicht sprechen. Krankheit uns Schwäche ist ein Tabuthema in unserer Gesellschaft.

Das Zusammenwirken von genetischer Veranlagung, Stoffwechselstörungen im Gehirn, eventuell einem schwierigen Umfeld und deren Auswirkung auf das seelische Gleichgewicht wird unter dem Begriff „ Vulnerabilität “ zusammengefasst. Das beschreibt den Verletzlichkeitsgrad der Betroffenen. Wenn diese - ganz individuelle – Verletzlichkeits-Grenze überschritten wird, kann es zum Ausbruch der Psychose kommen.«


Wenn Anna-Liesbeth an diesen Tagen durch die Stadt läuft scheint sie zu schlafwandeln.

Man sieht sie bei der Ausführung von komplexen und wohl koordinierten Handlungen, doch sie scheint im Geist zu schlafen. Freunde sagen, Anna-Liesbeth hätte letztens abfällig vom Schlaraffenland gesprochen. Ein märchenhaftes Land des Überflusses, in dem Faulheit eine Tugend und Fleiß das größte Laster ist.


A.L.: »Heute habe ich eine interessante Beobachtung gemacht: Meine Freunde – das könnte ich jetzt eigentlich für alle Menschen verallgemeinern – passen sich ihrem Umfeld an. Sie entwickeln sich entsprechend so, dass ihr Bewusstsein sich ihren Lebensformen, ihren Vorbildern ect. Anpassen kann. Ich habe mich auch entsprechend angepasst. Die Persönlichkeit und das Ichbewusstsein schlängeln sich um die Lebenssituation herum wie Wasser. Wasser, welches sich seinen Weg manchmal ungerichtet – zufällig durch die Natur- bahnt und ein anderes mal mit etwas innewohnendem Druck vom Wasserstrom genau gerichtet wird. Also klar ist, dass Wasser in der Lage ist Widerstand zu leisten. Wasser leistet Widerstand – mit seiner Kraft – gegen z.B. Erde und Steine und wählt damit seinen Weg bewusst. Da Wasser kein Bewusstsein besitzt ist dieser Gedanke nicht in die Realität umsetzbar, jedoch ist es ein gutes Bild: Der Mensch kann seinen Weg durch sein Leben bewusst wählen wie das Wasser. Das Wasser als Metapher für den Menschen.«


Denn wird nicht jeder Mensch als ungeformtes - nur mit den vererbten Grundzügen des Äußeren – zum Individuum hin strebendes Wessen geboren? Ein Neugeborenes gleicht dem Anderem Neugeborenem bezüglich der gesammelten Erfahrungen. Die Entwicklung vollzieht sich nun je nach Grundlage mit der das Individuum konfrontiert wird. Die Entwicklung folgt den Windungen, passt sich an, gliedert sich ein.


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