Dürfen wir über Leben und Tod entscheiden

Aus Jugendsymposion
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von Laura-Sophie Spelsberg, 15. Februar 2010


Wir haben im Philosophieunterricht über Präferenz-Utilitarismus nach Peter Singer gesprochen, aber eigentlich muss ich vorgreifen, denn zuerst haben wir über den Utilitarismus nach John S. Mill gesprochen.

Nach Glück zu streben und Unglück zu vermeiden in meinem Leben und im Leben aller anderen Menschen und fühlenden Wesen ist der Sinn des Lebens im Utilitarismus nach John S. Mill. Zuerst stimmten die meisten Schüler dieser Aussage Mills zu, bis wir auf die Definition von der Qualität und der Quantität von Glück stießen: „Nach dem Prinzip des größten Glücks,(…)der letzte Zweck, bezüglich dessen und dessentwillen alles andere wünschenswert ist ( sei dies unser eigenes Wohl oder das wohl anderer), ein Leben , das soweit wie möglich frei von Unlust und quantitativer wie qualitativer Hinsicht so reich wie möglich an Lust ist; wobei der Maßstab ,an dem Qualität gemessen und mit der Quantität verglichen wird, die Bevorzugung derer ist, die ihrem Erfahrungshorizont nach - einschließlich Selbsterfahrung und Selbstbeobachtung - die besten Vergleichsmöglichkeiten besitzen. (…)“(Was ist Utilitarismus? J.S.Mill)

Also muss der Maßstab des Glücks nach Mill an den Maßstab des Glücks erfahrener Menschen angelegt werden. Die meisten Schüler und auch ich fanden, dass jeder Mensch mit etwas anderem in seinem Leben glücklich ist und wird und dass Glück etwas Individuelles und Subjektives ist. So sprachen wir über den Präferenz-Utilitarismus, dessen Grundsätze dieselben sind, wie im Utilitarismus. Allerdings ist der Maßstab für Glück nicht das Glück erfahrener Menschen, sondern die Präferenzen eines jeden Menschen und fühlenden Wesens.


Nach Singer gilt:

  • Pflanzen und untere Tiere haben keine Präferenzen.
  • Höhere Tiere haben die Präferenz ihre Triebe zu befriedigen und Schmerzen zu vermeiden.
  • Embryonen bis zum dritten Monat haben ebenfalls keine Präferenzen.
  • Embryonen ab dem dritten Monat haben die Präferenz ihre Triebe zu befriedigen und Schmerzen zu vermeiden.
  • Menschen unter zwei bis vier Jahren, Demenzkranke und schwer geistig Behinderte haben die Präferenz ihre Triebe zu befriedigen und Schmerzen zu vermeiden.
  • Menschen ab vier Jahren haben die Präferenz ihre Zukunft zu planen, weiterzuleben, ihre Triebe zu befriedigen und Schmerzen zu vermeiden.
  • Suizidale Menschen haben die Präferenz zu sterben.

Singer sagt, dass „ (…) Im Unterschied zum normalen Utilitarismus, bei dem Moralität einer Handlung nach der Summe von Lust, die sie hervorbringt (bzw. an der Summe von Unlust, die sie vermeidet) bemessen wird, ist nach dem Präferenzutilitarismus entscheidend, ob eine Handlung den wohlüberlegten Interessen der Beteiligten nützt. Dabei seien die Interessen von Personen, denen anderer Wesen vorzuziehen. (…)“ (Nur Personen haben ein Recht auf Leben; P. Singer)

Eine Person ist nach Singer jemand, der das Selbst-Bewusstsein hat, zu wissen, was es bedeutet, wenn dass eigene Leben beendet wird und den Wunsch hat weiterzuleben.

Singer sagt auch: „Bentham zeichnet die Fähigkeit zu leiden als jene entscheidende Eigenschaft aus, die einem Lebewesen Anspruch auf gleiche Interessenabwägung verleiht. Die Fähigkeit zu leiden oder genauer, zu leiden und/oder sich zu freuen oder glücklich zu sein ist nicht einfach eine weitere Fähigkeit wie die Sprachfähigkeit oder die Befähigung höherer Mathematik. Die Fähigkeit zu leiden und sich zu freuen ist vielmehr eine Grundvoraussetzung dafür, überhaupt Interessen haben zu können, eine Bedingung, die erfüllt sein muß, bevor wir überhaupt sinnvoll von Interessen sprechen können. Ein Stein hat keine Interessen, weil er nicht leiden kann. Nichts, das wir ihm zufügen können, würde in irgendeiner weise auf sein Wohlergehen Einfluss haben. Eine Maus dagegen hat ein Interesse daran, nicht gequält zu werden, weil sie dabei leiden wird. (...)“

Nach Peter Singer hat also ein Säugling die gleichen Präferenzen, wie z.B. eine Maus oder ein Pferd. Hat ein Pferd eine unheilbare, schmerzhafte Krankheit, empfehlen die meisten Tierärzte es zu töten und somit dem Interessen des Pferdes nicht zu leiden nachzukommen.

Ist aber ein Säugling unheilbar krank wird er nicht getötet, obwohl doch eine seiner Präferenzen ist, Schmerzen zu vermeiden und er auch nicht die Präferenz hat weiterzuleben und seine Zukunft zu planen. Genauso ist es mit unheilbar kranken Demenzpatienten und stark geistig behinderten Menschen.

Singer sagt: „Unsere heutige Haltung geht auf das Christentum zurück. Es gab eine spezifisch theologische Motivation für die Christen, die Wichtigkeit der Zugehörigkeit zur Spezies zu propagieren; es war der Glaube alle von menschlichen Eltern Geborenen seien unsterblich und zu ewiger Seligkeit oder immerwährender Qual vorherbestimmt. Mit diesem Glauben bekam das Töten eines Homo sapiens eine schreckliche Tragweite, weil dadurch ein Wesen seinem ewigen Schicksal überliefert wurde. (…)“

Singers Argumentation ist auch bei Diskussionen über Abtreibung, Sterbehilfe, Tierversuchen und beim Essen von Fleisch anzuwenden und ich fand sie durchaus logisch nachvollziehbar.

Jedoch bricht er mit dem ethischen Grundsatz, dass menschliches Leben unantastbar ist und somit auch mit dem Grundgesetz einer jeden Demokratie.

Wir Schüler bekamen im Unterricht einen Zettel auf dem wir nein; ich weiß nicht; ja, ich würde es aber nicht tun oder ja, ich würde es auch tun ankreuzen sollten. Es ging z. B. um die Frage, ob wir fänden, dass man einen Säugling, einen Demenzkranken oder einen stark geistig Behinderten, welcher unheilbar krank sei mit dem Einverständnis der Eltern bzw. der Verwandten schmerzlos töten solle. Auch sollten wir darauf antworten, ob wir jemanden der sterben wolle, aufhalten sollten (bei Suizid) oder gegebenenfalls helfen sollten sich umzubringen, wenn er es nicht mehr selber kann (aktive Sterbehilfe).

Ich fand und finde es sehr schwierig auf solche Fragen zu antworten, da man selber nicht in der Situation ist oder war und da man mit 17 Jahren vielleicht auch noch nicht genügend Lebenserfahrung hat, überhaupt etwas dazu sagen zu können. Doch könnte ich mir vorstellen jemandem, der schon lange an Krebs leidet und selber nicht mehr Suizid begehen kann, einen Giftbecher zu reichen (wenn es erlaubt wäre). Trotzdem weiß ich nicht, wie ich mit dem Gedanken weiterleben könnte, jemanden getötet zu haben, auch wenn es aus dem eigenen Willen des jenigen heraus wäre. Vielleicht wäre es auch egoistisch, jemanden darum zu bitten mich zu töten, wenn ich es nicht mehr selber könnte, denn ich weiß schließlich nachher nicht, ob derjenige mit diesem Wissen weiterleben kann?!

Vielleicht wäre es aber auch egoistisch mich weiterleben zu lassen, obwohl ich leide und sterben will?! Vielleicht würde es ausgenutzt werden, wenn es erlaubt wäre jemandem aktive Sterbehilfe zu leisten, z. B. um einen Mord zu begehen?

Und vielleicht ist es gut, dass unsere Gesetze es verbieten derlei Dinge zu tun?

Aber vielleicht hindern sie uns auch in manchen Augenblicken das Richtige zu tun?

Im Zweifel für das Leben?!

Peter Singer weiß für sich die richtige Antwort, ich weiß sie, je länger ich über dieses Thema nachdenke immer weniger.

Und gibt es sie überhaupt, die richtige Antwort auf diese Fragen?

Und was ist überhaupt richtig, wenn es um Leben und Sterben geht?

Wäre man ein gläubiger Christ, könnte man Peter Singer entgegenhalten, dass Leben gottgegeben ist und dass er es auch wieder nimmt. Aber ist das nicht eine Ausrede dafür, dass man nicht über solche Probleme reden muss, da es schwierig ist eine eindeutige Antwort darauf zu finden. War Religion nicht schon immer eine Antwort auf so viele Fragen, die Menschen nicht fähig waren zu beantworten?

Dann gibt es nur noch zwei Ebenen auf denen wir Singer etwas entgegen zu setzen haben, die der Demokratie, also des Gesetzes (aber hatte die nicht auch religiöse Grundsätze?) und die der Emotionalität. Auf der Ebene der Emotionalität müssten wir die Spezies Mensch deutlich von anderen Lebewesen trennen, da es sonst zu einer Doppelmoral käme, welche zu keiner eindeutigen Erklärung führen würde.

Es ist sehr schwierig, ein rationales Argument gegen Singers Philosophie zu finden und ich komme nicht zu einer Eindeutigen Antwort auf meine Titelfrage. Wann und unter welchen Vorraussetzungen dürfen wir über Leben und Tod entscheiden und dürfen wir es überhaupt?


Natürlich haben wir in der Klasse nicht so weit darüber diskutiert, aber ich wollte einfach meine Gedanken zu diesem Thema äußern.

Mich interessiert dieses Thema sehr und ich wüsste gerne, was die Leserinnen und Leser dieses Artikels von Singers Philosophie und von meinem Text halten!

Außerdem finde ich, dass man so etwas auch auf einem Jugendsymposion diskutieren könnte.


Laura S. Spelsberg (aus Remscheid)


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