22. Kasseler Jugendsymposion »Diversität«: Unterschied zwischen den Versionen

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''11. bis 14. Juni 2020''
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'''Das Jugendsymposion findet nicht statt.'''
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Aktuelle Version vom 18. März 2020, 12:34 Uhr

Das Jugendsymposion findet nicht statt.


Stuehle2 Diversitaet 720.jpg


Foto: © Sven Ivantchev


Diversität ist eine Konsequenz des Individualismus und somit ein zentrales Merkmal moderner demokratischer Gesellschaften. In einer Welt der Globalisierung und Migration gilt es eine Vielfalt von unterschiedlichen Lebensentwürfen, Fähigkeiten, sexuellen Identitäten, politischen Überzeugungen, gesellschaftlichen Lebensrealitäten, Religionen, Sprachen und Kulturen auszubalancieren und in fruchtbaren Austausch zu bringen. Dies basiert auf dem offenen Zugang zu Informationen, freiem Meinungsaustausch und Ambiguitätstoleranz. Gleichzeitig droht durch die zunehmende Virtualisierung unserer Lebenswelt fortwährend ein »information overload«, der zu einer Kapitulation vor der schieren Masse diverser Informationen und Urteile und mithin zu Handlungsunfähigkeit führen kann.

Die Fähigkeit, mit einer in dieser Form wohl nie da gewesenen Diversität umzugehen, wird in der Psychologie Ambiguitätstoleranz genannt. Diese besteht darin, die Einheit in der Vielfalt der Welterscheinungen zu erleben und Unsicherheiten und Mehrdeutigkeiten auszuhalten, ohne dabei in Angst vor Selbstverlust zu verfallen. Denn Identität kann sich ihrer selbst nicht mehr durch allgemein verbindliche Normen vergewissern. Sie bildet sich individuell in permanenter Aushandlung zwischen Selbst- und Fremdanforderungen und bedarf deshalb der Souveränität, Unterschiedlichstes in das Selbst integrieren zu können. Die Welt kann deshalb nicht länger in einem Masternarrativ erklärt werden, sondern fordert die Fähigkeit, unterschiedliche Narrative zueinander in Beziehung zu setzen.

Ihr kultureller Gegenentwurf, das Bedürfnis, vermeintliche Eindeutigkeit durch immer schärfere Abgrenzungen zu erlangen, ist ein wesentliches Symptom populistischer Strömungen, seien sie nationalistisch, biologistisch, autoritär oder religiös fundamentalistisch motiviert, und kann als regressiver Versuch betrachtet werden, sich den zentralen Aufgaben unserer Zeit zu entziehen.

Diversität in komplexen Balanceprozessen realisiert die Natur in ihrer Artenvielfalt. Diese ist allerdings durch menschliches Eingreifen in den ökologischen Organismus massiv bedroht: Biologen befürchten, dass bis etwa 2050 jede dritte bekannte Art aussterben könnte. Ähnlich alarmierend entwickelt sich in der Landwirtschaft die Vielfalt der Haustierrassen und Nutzpflanzenarten. Hier ist eine ökonomisch motivierte Entwicklung weg von der Diversität hin zur Gleichförmigkeit festzustellen: Wenige Hybridsorten ersetzen die historisch gewachsene Diversität der Kulturpflanzen.

Vergleichbares lässt sich konstatieren für die Vielfalt der Sprachen und Dialekte. Die Gesellschaft für bedrohte Sprachen prognostiziert, dass fast ein Drittel der ca. 6500 weltweit gesprochenen Sprachen innerhalb der nächsten Jahrzehnte verschwinden werden. Innerhalb der einzelnen Sprachen stellt sich der Befund weniger eindeutig dar. Einerseits wird ein Verlust an Vielfalt von Wörtern und grammatischen Strukturen sowie ein fortschreitendes Bedürfnis nach immer enger definierten, jegliche Ambiguitäten ausschließenden Formulierungen festgestellt, andererseits aber auch, etwa in der Bildung von Neologismen, ein nach wie vor vitales sprachschöpferisches Potential.

In diesem auf vielen Ebenen festzustellenden Spannungsfeld zwischen zunehmender Diversität und der zugleich fortschreitenden Tendenz zu Uniformierung und Einebnung kulminieren wesentliche Gegenwartsfragen und verbinden sich mit offensichtlich daraus resultierenden kulturellen, ökologischen und gesellschaftlichen Herausforderungen.