Patrizierhäuser und Grachten in der Kunst

Aus Jugendsymposion
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von Patrick von Jeetze, 12. Oktober 2010


Ein Kunstwerk wird an dem gemessen wie viel und was für Arbeit in ihm steckt, wie originell es ist. Es wird an seiner Bedeutung für die Kunstgeschichte gemessen, an seiner Einmaligkeit, seiner Begehrtheit und ferner müssen auch Materialkosten berücksichtigt werden.

Auf dem zeitgenössischen Kunstmarkt wurden die Regeln zuletzt umgeschrieben: Arbeiten konnten im großen Stil eingekauft, eingelagert, und bestenfalls mit sehr hohen Wertsteigerungen verkauft werden, was Milliardäre, Investoren und Hedgefonds schon seit langem aufmerksam werden ließ und anzog. Der angemessene Preis wurde durch Spekulation bestimmt.

Die Kunst als Wertpapier.

In Amsterdams malerischen Grachtenstraßen unter den Patrizierhäusern treibt das Gefühl eines eigenen Kunstgedankens; Passanten und Fahrradfahrer fliehen über die Gassen, Boote fahren unter den Platanen lässig surrend vorbei, Essen duftet und unterhalb das Wasser. Diese alten lebendigen Grachtenstraßen präsentieren die schmierigen Graffiti-Tags, die witzig-bunten Hollandräder, das Rijksmuseum, das van Gogh Museum, das Rembrandthuis und die Amsterdamer Hermitage. Diese Straßen führen hin zur Kunst, auf ihnen wurde sie bereits geschaffen und getragen und eines wird einem in Mitten der Museen, Meister und bunten Menschen auffallen müssen: Kunst ist kein Werk, keine Arbeit allein, kein Produkt - sie ist individuell, lebendig im Sinne einer Menschenverknüpftheit, ob des Künstlers der sie geschaffen hat, ob der Menschen für die sie geschaffen wurde, weil sie auf jeden einzelnen anders wirkt. Kunst ist menschengeschaffene Natur, evolutionär, stark und vergänglich; eine geistige Landschaft, die wie ein Rückzugsort dient, zu dem man hinfliehen kann, um sich zu finden und das macht sie zu einem Ort, der menschengemacht eine Schönheit ausdrückt, einzigartig und einfach. Ein Industriehammer wird für jeden immer ein Hammer bleiben, genauso ein Goldbarren, eine künstlerische Statue oder ein Bild, ein Musikstück, werden jedoch auf der anderen Seite immer eine besondere, eigene und subtile Wirkung auf Menschen haben. Folglich bezieht ein Kunstwerk seinen wahren Wert nicht aus seiner Nachfrage und Seltenheit, sondern aus seiner Möglichkeit Emotionen zu erwecken und Assoziationen hervorzurufen. Hier muss ganz klar differenziert werden, denn nicht immer scheint das klar: Die hohe Nachfrage entsteht erst, weil das Bild auf viele Menschen eine außergewöhnliche Wirkung hat. Der Goldbarren und das Wertpapier wirken anders, diese haben einen hohen praktischen Nutzeffekt auf den Menschen – sie verleihen Status und Sicherheit, nicht zwangsläufig das Wertpapier.

Dies führt hinein ins Finanzwesen. Die Kunst wird eine Anlageoption.

Ein beliebiges Angebot lautet beispielsweise: Die Preise für zeitgenössische Kunst sind überschaubar. Die Kunstpreise steigen jedoch kontinuierlich. Der Handel ist mit geringen Schwankungen weitgehend Kapitalmarkt unabhängig. Problematisch, für den Privatanleger, ist nur die Einstiegsbarriere. Auch geringe Liquidität bzw. Kapitalverfügbarkeit. Daneben mangelnde Transparenz. Angeboten wird erstmals ein Anlagefonds. Er öffnet diese Assetklasse einer breiten Anlegerschicht. Investments erfolgen direkt, indirekt in Special Purpose Vehicles. Gelöst wird das Problem der Liquidität. Sie liegt bei ca. 20 Prozent des Fondsvolumens. Der Fonds nutzt die Intransparenz und Ineffizienz im Kunsthandel. Die Fonds werden von Experten und Sachverständigen beraten. Veranschlagt wird eine 2-prozentige Management-Fee. Einfach ist auch die 20-prozentige Success-Fee.

Der Geldmarkt ist wichtig für die Kunst. Er ist essentiell um Museen zu finanzieren. Große Museen sorgen dafür, dass die Kunstwerke zu einer öffentlichen Sache werden, damit Menschen sie wahrnehmen, – um Genuss zu fördern, Erkenntnis, Ich-Empfinden – die Studenten, Schüler und Kinder, sogar nur belastet durch eine minimale Aufwandsentschädigung, oder umsonst. Förderer leisten großes in der Szene, für die Künstler und Galleristen, welche darauf achten, gute Preise zu erzielen, um mit jeweils 50 Prozent leben zu können und zu arbeiten; ein idealistischer Anteil und ein vollkommener Wert. Kunstverständige Kapitalanleger und Förderer, Idealisten – sie verstehen den Markt, wollen den Atem ebendieses Amsterdams, eines New Yorks, des Buenos Aires oder Berlins erhalten, honorieren das Werk und machen billige Preise, um einen Raum, der dem Künstler gerecht wird, zu schaffen, derartig sinnvoll, dass Künstler dadurch frei und uneingeschränkt arbeiten können. Zudem ermöglichen großzügige Spender und Sammler gigantische und kostspielige Ausstellungen, indem Sammlungen öffentlich ausgestellt werden, die teilweise einem Lebenswerk gleichen und über Jahrzehnte, so perfekt, dass die Sammlungen sehr feinsinnig und großartig abgestimmt wirken, zusammen getragen wurden.

Seitdem es das Kapital gibt, wird Kunst auf diese Weise gefördert, und zwar so umfangreich, dass es zu allen Zeiten schon den freien Künstler gab, der durch ebensolche Mäzene unterstützt wurde. So lange das Kapital in Händen von wenigstens Teilidealisten ist, wird Großes geschaffen.

Ruchlos wirkt auf diese Balance nur ein abstrakter Finanzmarkt. Seine Position ist verschoben. Er ist von der Kunst getrennt. Als Medium und Ware werden Werke in Depots eingelagert. Dort werden sie geschützt. Nach einer kalkulierten Wertsteigerung werden die artis facti verkauft. Kalkuliert ist falsch, hier wird spekuliert. Natürlich gibt es unter dieser Klientel auch Menschen, die verstehen, was sie tun, worum es geht: Andere tun dies nicht. Die Preissteigerungen sind kühn. Dieser Nebenmarkt ist kompromisslos. Beinahe noch zu ertragen ist der Schaden, den die unbeteiligten Sammler davontragen, denn dies betrifft nicht unbedingt eine breite Öffentlichkeit. Schlimm wird es, wenn Museen betroffen sind. Die Geldmittel sind knapp. Museen können sich Werke nicht mehr leisten. Die meisten werden vor allem vom Staat bezahlt. Stetig erhöhen sich die Eintrittspreise. Gleichzeitig wird die Steuer umgangen. Als Wohltäter erhält man für sein Engagement einen Freibetrag. Steuerberater, Anwälte und Bankiers raten zu einer solchen Anlage. Der komplexe Prozess hilft beim Sparen, illegal. Es sind sieben- bis achtstelligen Beträge. Den Staaten fehlt Geld.

Das System ist einfach. Der Investor wählt sich einen Künstler aus. Er nimmt sich einen, dessen Wert steigen wird. Etwas Zeitgenössisches: Er unterstützt das Werk. Das Werk wird eingelagert.

Unterstützt wird das Werk bei Auktionen. Der Preis darf nicht verfallen. Er bietet darauf, dass das nicht passiert. Wenn der Zeitpunkt gekommen ist, verkauft er.

Bieten kann man Anonym. Das ist der Vorteil. Niemand spricht von Preistreibereien. Und man kann sie sicher ihm Keller einlagern, die Kunst. Passiert ist das „Big Family no. 3“ aus der Serie „Bloodlines“ von Zhang Xiaogang. Der Wert seiner Kunst stieg seit 2003 um 80 Prozent. Er kam mit dem Malen nicht hinterher. „Big Family no. 3“ wurde ausgestellt, in Tel Aviv und Kopenhagen. Dies half und das Bild wurde bekannt, dann versteigert. Es wurde gekauft, dann eingelagert. Es gab Sammler in dessen Serie das Bild sehr gut passte. Die Nachfrage des Bildes stieg.

Auf dem gewöhnlichen Weltmarkt und in der Börse ist das Monopol unter Strafe verboten. Wenn man ein Monopol besitzt, kann man als Einzelperson den Preis seiner Monopolware bestimmen. Auf dem Kunstmarkt werden die arti facti gezielt gekauft, um den Preis zu bestimmen und zu steigern. Darauf wird geboten. Darauf wird spekuliert. Auf dem Kunstmarkt gibt es keine Gesetze, dort kann man tun was man auf dem normalen Gebrauchsgütermarkt nicht darf, zu Renditen die weitaus höher sind. Illegal ist das nicht. Warum auch!

Der Kunstmarkt wächst. Die Museen werden zwar teurer, aber dennoch werden sie immer besser besucht, die Nachfrage steigt. Die zeitgenössischen Werke, immer spektakulärer, werden bekannter und kostbarer, je mehr Menschen sie sehen. Man reist weit für die Kunst, das gehört sich so.

Wenn nur die verflochtenen Straßen in Amsterdam mehr in schmale helle Gässchen führten, weg von den stehenden Fassaden der Patrizierhäuser, die auf so vielen Postkarten, die ihre Giebel und ihre Haken zeigen, abgebildet sind, um dort eine Spalte zu entdecken, von der Art, dass sich sehen ließe was sich hinter den schmalen Stadthäusern befände, dies würde das Bild einer Stadt sichtbar machen, die nicht nur vom Reichtum des Goldenen Zeitalters lebte, sondern auch von ihren Menschen und ihren Künstlern, Rembrandt, Gerrit Rietveld.

Hinter den Patrizierhäusern sind Stadtgärten.