Musikphilosophie

Aus Jugendsymposion
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von Georg Richardsen, 28. Januar 2010


Ich werde in dem folgenden Essay einen Einblick in meine Jahresarbeit in der 11. Klasse geben, die ich einem Zeitraum von ungefähr 3 Monaten verfasst habe.


Das Thema meiner Arbeit lautet Musikphilosphie. Ich habe dieses Thema gewählt, weil ich meine primären Prioritäten, eben die Musik und die Philosophie auf einen gemeinsamen Nenner bringen wollte, und als ich erfahren habe, dass tatsächlich ein musikwissenschaftlicher Zweig namens „Musikphilosophie“ existiert, habe ich beschlossen, diesen zum Thema meiner Arbeit zu machen, indem ich ihn näher erläutere und durch die geschichtlichen Epochen hindurch gegliedert behandle. So befasst sich die Arbeit also anfangs mit einer allgemeinen Definition der Musikphilosphie sowie mit dem Gedankengang und den potenziellen philosphischen Einflüssen verschiedener Denker und zeigt dann im zweiten Teil die philosopischen Gedankenansätze verschiedener, in geschichtlicher Reihenfolge geordneter Philosophen auf, die die Musik behandeln.


Die Musikphilosophie ist die Wissenschaft über die Vereinigung der beiden Themen „Musik“ und „Philosophie“ zur alternativen Erklärung erkenntnistheoretischer Fragen. Anstatt der Philosophie die Hauptrolle zu überlassen, wird umgekehrt gezeigt, dass Musik vernachlässigte Fragen in verschiedenen Bereichen der Philosophie der Neuzeit wiederbeleben kann. Aber wie soll Philosophie aus der Musik hervorgehen, wenn Philosophie wesentlich diskursiv und Musik wesentlich begriffslos ist? Das mag abwegig klingen, doch ein berühmtes Beispiel aus der analytischen Philosophie zeigt, dass die Vorstellung, die Musik könne Grenzen der Philosophie aufzeigen, gar nicht unbedingt abwegig ist:

„Ist die Sprache die einzige Sprache? Warum soll es nicht eine Ausdrucksweise geben, mit der man über die Sprache „reden“ kann, sodass diese mir in Koordination mit etwas Anderem erscheinen kann? Nehmen wir an, die Musik wäre eine solche Ausdrucksweise....“
(Wittgenstein)

Der entscheidende Punkt, der einen dazu bringt, die Musik als Instrument der Erklärung zu benutzen, ist die Annahme, die Musik würde uns mit der Welt verbinden. Dadurch tangiert sie zentrale philosophische Fragen. Der entscheidende Faktor ist der Rhythmus:
„Was im allgemeinen nicht bemerkt wird ist, dass jede Einförmigkeit und Regelmäßigkeit von Veränderung in der Natur ein Rhythmus ist.“
(Dewey)


Nur sinnliche Begränzung und sinnliche Einleitung des Mitteilungsstoffes durch Rhythmus kann die Empfindung zu einer dauernden Wirksamkeit erweitern, was bedeutet, dass nur gegliederte Schemata anhaltend Sinn ergeben. Rhythmus ist also die Grundlage zur Philosophie. Das Problem ist, dass durch die heutige Vielfalt der sich widersprechenden erkenntnistheoretischen Positionen weder die Philosophie noch die Musik eine definitive Lösung bieten kann. Worin also besteht der Wert, der Nutzen- denn den gibt es natürlich- dieser Theorien? Sie zeigen, dass die Musik eine Sinnquelle dessen ist, was der diskursiven Wahrheit entgeht, denn „ein Sprechen über die Sprache macht die Sprache fast unausweichlich zu einem Gegenstand.“


Antike

In der antiken Philosophie der Pythagoreer (Anhänger Pythagoras´) galt die Harmonie und die Zahl als Grundprinzip des Seienden und die Musik und ihre Intervallverhältnisse als Paradigma (=Vorbild, Muster) dieser allumfassenden Ordnung, obwohl schon Platon die Musik lediglich als „Durchgangsstation zur Erkenntnis des Seienden“ definierte, weil sie nur als Instrument der Erziehung der Angehörigen des Gemeinwesens gesehen wurde und darum als solches aber engen Begrenzungen in Inhalt und Ausführung unterliegt, da sie „nur“ Liebe zum Sinnlich-Schönen hervorrufen kann. Auch Aristoteles bezeichnete Musik hauptsächlich als Mittel zum Zweck der Beeinflussung von Charakter und Seele.


Frühes Christentum

Im frühen Christentum sowie in den Anfängen des Mittelalters wurden die Gedanken über Musik und Philosophie von einem starken Glauben an Gott beeinflusst, man hielt die Musik als eine Sprache Gottes, welche sein Wort verkünden solle und die reine Sprache sei, in der keine Sünden möglich seien.


Mittelalter

Im Mittelalter wandelte sich erstmals die Vorstellung, in der Musik ein das Mittel zum Zweck der Erklärung des Menschen zu finden, indem man sie als mathematische Wissenschaft definiert und Schönheit nur bei einer sichtbaren Abbildung der Harmonie des Kosmos- was auch immer man sich damals darunter vorstellte- zusprach. Die damaligen Denker, alle noch versessen darauf, die Existenz Gottes zu beweisen, waren sich einig, dass Musik das Wort Gottes viel wirksamer als die Schrift übertrage, was aber wiederum eine Instrumentalisierung der Musik als „Transportmittel“ darstellt. Es gibt also im Mittelalter noch nicht die Idee, dass Musik auch absolut und ohne abhängigen Zweck bestehen könnte.


Neuzeit

In der Neuzeit tritt die mathematisch-spekulative Sicht auf die Musik in den Hintergrund zugunsten einer Sicht, die die Musik in einen Zusammenhang mit dem menschlichen Leben aufzeigen soll. Die Aufklärung zieht eine Trennung zwischen Wissenschaft und Kunst, der Begriff des künstlerischen subjektiven Geschmacks kommt jetzt in Diskussion, im Gegensatz zur objektiven Erkenntnis. Da ich mich vor allem mit der europäischen Philosophie beschäftigt habe, ist der Absatz, welcher asiatisches Gedankengut behandelt in zusammengefasster Form zu lesen:


Chinesische Musikphilosphie

In China sowie im gesamten östlichen Raum war die Musik ursprünglich im Sinne eines Ganzheitserlebens Teil einer Zauber- und Glaubenssphäre. Sie war in ihren Erscheinungsformen, in Klangfarbe, Lautstärke, Tempo, Rhythmus, Melodie und Klang also noch ganz von außenmusikalischen Erfordernissen abhängig. Mit der Fortentwicklung aus diesem paradiesischen oder zumindest urtümlichen Zustand nimmt die unterbewusste Einschaltung der Musik allmählich ab, und zugleich nimmt die bewusste Deutung als ein philosophisch-ethnisches Symbol zu. Ihre Entwicklung geht also vom Bereich des reinen Glaubens zu einer äußersten Durchdringung mit Kräften des Verstandes. Bei unser Betrachtung hier ist ein anderer Gesichtspunkt wichtig, die Frage, welchen Zweck die Musik im Kultleben zu erfüllen hat: dient sie zur Berauschung und Ekstase – oder soll sie den Menschen zu sich selbst führen, soll sie ihn verinnerlichen? Diese Frage greift über das rein Ethische hinaus, denn parallel mit den beiden genannten, sich ausschließenden Eigenschaften laufen ganz bestimmte musikstilistische Grundeinstellungen.

Es mag sein, dass die kontemplative (= sich auf geistige Inhalte konzentrierende) Musikpflege, wie sie dem Ostasiaten eigen ist, erst aus der zunächst überall magisch-rauschhaften Verwendungsweise der Musik entstanden ist. Es muss aber nicht so sein, und heute herrscht ja in der chinesischen Musikauffassung der Glaube an die beruhigende, charakterbildende Kraft der Musik vor. Doch das bedeutet nicht, dass zumindest im gesamten ost- und südostasiatischen Raum auch noch hier das veräußerlichende und erregende Element der Musik eine Rolle spielt, wie z. B. bei den Trancetänzen der Malaien (Ethnie in Südostasien, heimisch auf den malaiischen Halbinseln).

Eine andere Hypothese für die besonders hohe ethnische Stellung der Musik in China gibt Louis von Kohl. Er meint, dass auch in China die Musik zuerst rauschhaft und magisch-kultisch gewesen, dass sie dann zum Bestandteil des ekstatischen Kulttanzes geworden sei, um schließlich ganz eine Möglichkeit menschlicher Gefühlsäußerung zu werden. Daneben soll aber noch eine andere Wurzel bestanden haben: die Musik als ein akustisches Verständigungsmittel, das Rufen über über weitere Entfernungen, wie es bei Hirtenvölkern vorkommt. Carl Stumpf, der bedeutende Psychologe und Wegbereiter der deutschen musikethnologischen Forschung, vertritt ja ebenfalls den Standpunkt, dass die Musik aus solchem signalisierenden Rufen entstanden sei. Nach von Kohl soll sich aus dieser rein praktischen Verwendung des Rufens oder Singens die lautliche Äußerung zu einem hervorragenden Führungsmittel entwickelt haben.

Aus dieser Aufgabe der Musik, andere zu führen, sei die Musik dann zu einem Grundpfeiler der staatlichen Ordnung geworden, zum wichtigsten Mittel, Menschen zu führen und Charakter zu bilden. Folgt man dieser Deutung von Kohls, so bleibt die Frage offen, wie sich aus diesem verhältnismäßig spät ausgebildeten Ethos der Musik der viel ursprünglichere Glaube an die Abhängigkeit der Musik von der kosmischen Ordnung entwickelt haben soll. Wir sehen, sobald wir etwas über die Wurzeln der Musik, von der wir ja nur die reifsten Entwicklungsphasen geschichtlich überschauen können, erfahren wollen, sind wir auf Vermutungen angewiesen. Doch zurück zur Führungstheorie: Die Leitung eines Volkes durch den Herrscher kann nur dann gelingen, wenn er die Musik auch richtig einsetzt. Im Herrscherhaus war ein streng vorgeschriebenes Zeremoniell für die Musikausübung üblich.

Offenbar aber hatten nicht alle Herrscher die gute Hand oder das richtige Geschick, mit der Musik bei der Volkserziehung umzugehen. „Wenn man also Güte und Gerechtigkeit, Sitte und Musik als Grundlage der Weltregierung nimmt, so wird ein Haus nach fünf- bis sechshundert Jahren noch bestehen; wenn man dagegen Gesetze und Befehle als Grundlagen benutzt, so geht ein Haus in weniger als zehn Jahren zugrunde.“ Schönere Worte über Musik und eine derart große Anerkennung ihrer inneren Kraft sind wohl selten ausgesprochen worden. Und wie wahr diese alte chinesische Wahrheit ist, hat die Weltgeschichte wohl schon mehr als einmal gezeigt!


Zu guter Letzt habe ich ein persönliches Fazit angehängt:

Derartige Arbeiten wie die meine dienen meistens nur zur Problemdarstellung, und die damit verbundenen Lösungsansätze. Doch hoffe ich, aufgezeigt zu haben, welch tiefsinnigen und doch so weitgreifenden Themen den Geist der Menschheit schon seit Jahrhunderten anregt. Letztendlich läuft es immer auf Interpretationssache hinaus, ob der Wille besteht, sich mit solchen Themen zu beschäftigen, und wenn ja, wie sie aufzufassen sind. Ich selbst gewann während der Recherchen und dem Verfassen der Arbeit genauere Einblicke in die Welt der Philosophie allgemein, denn beim Durchforsten der verschiedenen Werke nach Abschnitten, welche die Musik betreffen, kam ich nicht umhin, das gesamte Werk des jeweiligen Philosophen mehr oder weniger kennenzulernen. Ich darf auch hinzufügen, dass mir das Verstehen der unterschiedlichen Gedankenansätze zunächst Kopfzerbrechen bereitete, und ich erst nach intensiver Vertiefung der schweren Kost einen sinnvoll scheinenden Überblick gewinnen konnte. Ich hoffe diese kurze Überblick hat euch im allgemeinen Zeigen können, mit welcher Art und auf welche Weise von Thema ich mich in meiner Jahresarbeit beschäftigt habe.


Vielen Dank für das konzentrierte Lesen!

Georg Richardsen


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