3. Kasseler Oberstufenakademie

Aus Jugendsymposion
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Die Veranstaltung findet vom 21. bis 25. Februar 2020 statt und steht unter dem Thema:

Leib und Selbst

Als Menschen sind wir leiblich verfasst. Wir wohnen in unserem Leib unmittelbar, wir sind leiblich schlichtweg da – das ist unhintergehbar. Es durchzieht unser leibliches Sosein unsere Begegnungen. Philosophisch formuliert ist unsere leibliche Verfasstheit unserer Weltauffassung vorgängig.

Für das kleine Kind bildet seine leibliche Verfasstheit zunächst den elementaren Rahmen all seiner Lebensvollzüge. Schritt für Schritt ergreift es über sein leibliches Sosein eine Welt, die in gleicher Weise körperlich ist wie sein Leib (das Bein, dessen Bewegungen durch den Wiegenrand begrenzt werden, ist in gleicher Weise wie der Wiegenrand gegenständlich, sonst könnte der Rand als Gegenstand gar nicht erfahren werden). In der geteilten Aufmerksamkeit mit anderen erlebt es, dass diese Welt nicht nur für es selbst, sondern für alle eine körperlich-gegenständliche Welt darstellt. Aus der Unmittelbarkeit seiner Leiblichkeit bzw. seiner leiblichen Erfahrungen baut es eine Beziehung zu einer körperlichen Welt auf, zu der es abständig steht.

Die Doppelfigur von leiblicher Unmittelbarkeit und körperlicher Abständigkeit finden wir in der Art wieder, wie wir uns selbst auffassen: Einerseits sind wir unmittelbar wir selbst, andererseits können wir an uns einen personalen Habitus bemerken, den wir einfach haben. Andere Personen haben ihren besonderen Habitus, wir sind in gleicher Weise spezifisch jemand, wie jeder Andere auch ein Jemand ist. Wir werden uns selbst als Person bewusst.

In personaler Selbstauffassung und gegenständlicher Weltauffassung denken wir über Mensch und Welt weiter nach. Welche Fragen können wir dabei abständig lösen? In welchen Fragen stehen wir unmittelbar und unhintergehbar darinnen? Welche Folgen hat das für die Erkenntnisgrenzen und -möglichkeiten? Wie wird das Verhältnis von Leib und Selbst im Spiegel unterschiedlicher Disziplinen erschlossen?



Übersicht

Freitag Samstag Sonntag Montag Dienstag
9.00–10.30 Vortrag
Rita Schumacher
Vortrag
Volker Kleeberg
Vortrag
M. Michael Zech
Vortrag
Stephan Sigler
10.30–11.15 Pause Pause Pause Pause
11.15–12.45 Fachseminar Fachseminar Fachseminar Abschlussplenum
12.45–14.15 Mittagspause Mittagspause Mittagspause
14.15–15.45 Projektarbeit Projektarbeit Projektarbeit
16.30
Ankommen
15.45–16.30 Pause Pause Pause
17.00 Vortrag
Wilfried Sommer
16.30–18.00 Fachseminar Fachseminar Fachseminar



Vorträge

Prof. Dr. Wilfried Sommer
Leib und Selbst: Von der Umwelt zur Mitwelt

Rita Schumacher
Sprache als Grenzphänomen zwischen leiblichem Sein und Bewusstsein

Volker Kleeberg
Vom Leib über das Bewusstsein zur Freiheit

Prof. Dr. M. Michael Zech
Der intuitive Charakter historischer Erfahrung oder der Mensch zwischen Cronos und Kairos

Stephan Sigler
Leibliches Leben – Unendlichkeit denken?



Fachseminare

Geschichte

Das Phänomen historischer Atmosphäre – Leib, Ort und Zeit

Dozent: M. Michael Zech

Karl Schögel: »… wer Ruinen sieht, muß der Sprengung, der Verwitterung, die sie herbei geführt haben, nachgegen, nicht einfach einem überhistorischen Gesetz der Zeit. Wir haben die Bilder nicht ausgehalten und sind ausgewichen, dorthin, wo es weicher und für uns erträglicher zugeht: in den Himmel der Prinzipien, …. Bilder aushalten, den Bildern ins Auge zu sehen – das ist eine mutige erkenntnistheoretische Haltung …«

Der Arbeitsprozess richtet sich auf die Untersuchung des Problems, ob und wie Geschichte, die sich ja auf das bezieht, was gewesen ist, unmittelbar erfahren werden kann bzw. wie sich unsere leibliche Präsenz zur Dimension der Zeit verhält.

Neben theoretischen Erwägungen, in die Diskurse aus der Psychologie, der Ästhetik, der Kulturgeschichte, der Geschichtsdidaktik sowie der Geschichtsphilosophie einbezogen werden, soll unsere Erkenntnis durch Exkursionen an historische Orte (u.a. das unterirdische Kassel) geprüft werden.


Literatur

„Schreiben als mindere Form von Tanz“ – Paul Auster
Von der ursprünglichen Ausdrucksbewegung zur Wortsprache

Dozentin: Rita Schumacher

In diesem Seminar soll anhand verschiedener sprachphilosophischer und poetischer Texte nach dem Ursprungsmoment der Sprache in Leibbewegungen und Gesten gesucht werden. Neben der Beschäftigung mit philosophischen Texten (z.B. Herder, Humboldt, Cassirer) ist an die gemeinsame Untersuchung poetischer Texte (z.B. Paul Austers Autobiographie »Winterjournal« als Geschichte seines Körpers) und auch an das experimentelle Verfassen eigener poetischer Versuche gedacht.


Physik

Wie geht aus der von Foucault entwickelten Drehspiegelmethode das Konzept der Lichtgeschwindigkeit hervor?

Dozenten: Koen Beurskens, Wilfried Sommer, Ceus Weterhof

Léon Fouault entwickelte Mitte des 19. Jahrhunderts ein Verfahren, um die Lichtgeschwindigkeit zu messen: die Drehspiegelmethode. Dort wird ein Spalt zuerst auf einen Spiegel und von dort aus wieder auf sich selbst abgebildet, in den optischen Aufbau ist zusätzlich ein Drehspiegel integriert.

Schaut man sich den Aufbau im Detail an, so steht man voller Bewunderung vor seiner methodischen Raffinesse, bedeutet doch die Position des Drehspiegels im Brennpunkt der Abbildungslinse, dass auch bei hohen Drehfrequenzen noch eine akzeptable Lichtstärke herrscht. In einem ersten Schritt soll der optische Aufbau durch eigene Experimente aufgeschlossen und im Detail durchdacht werden.

In einem zweiten Schritt schließt sich die Messung der Lichtgeschwindigkeit mit einem Drehspiegel an, der auf eine Bohrmaschine montiert ist. Dabei wird die Drehfrequenz des Spiegels über das Phänomen der Schwebung bestimmt, wenn sich die Schallschwingung des Drehspiegels mit der Schallschwingung einer Stimmgabel überlagert.

In einem dritten Schritt gilt es, die Versuchsbeobachtung, eine durch den Drehspiegel verschobene Abbildung des Spaltes auf sich selbst, auszuwerten. Dabei werden insbesondere die zeitlich versetzten Stellungen des Drehspiegels in die Vermittlung der optischen Abbildung konzeptionell gefasst: als Lichtgeschwindigkeit bzw. als Zeitintervall, welches der sechsfachen Brennweite der Abbildungslinse zuzuordnen ist. Gerade durch die Diskussion der Detailfragen wird deutlich, wo der jeweilige Rahmen der Konzepte oder befragten Hypothesen liegt.


Biologie/Kognitionswissenschaft

Farbe

Dozent: Axel Ziemke

Was ist Farbe? Die Wellenlänge von sichtbarem Licht? Neuronale Aktivität? Die Empfindungsqualität einer immateriellen Seele? Ein Datensatz? Ein Reiz, der Verhalten auslöst? Oder vielleicht nur ein Wort? Können wir wissen, wie andere Menschen und Lebewesen Farben empfinden? Sehen sie vielleicht dort rot, wo wir grün sehen? Und welche Farben sehen eigentlich rot-grün-blinde Menschen? Können Roboter (irgendwann mal) Farben empfinden? »Wer« sieht eigentlich Farben? Das Gehirn? Das Ich? Das Selbst? Ein Informationsverarbeitungsprogramm in unserem Gehirn, das prinzipiell auch in einem Roboter realisiert sein könnte?

Kognitionswissenschaft (Cognitive Science) ist ein interdisziplinäres Forschungsgebiet, das Bewusstsein zu verstehen versucht. Neben der Neurobiologie sind Psychologie, Philosophie, Künstliche Intelligenz, Linguistik, Anthropologie, Evolutionsbiologie und Soziologie an ihm beteiligt. Farbempfindungen spielen in der Kognitionswissenschaft vor allem deswegen eine wichtige Rolle, weil (fast) jeder Mensch Farben unmittelbar erlebt, philosophische Überlegungen dadurch intuitiv gut nachvollziehbar scheinen und die Neurobiologie und Psychologie der Farbwahrnehmung bereits recht gut verstanden sind. Aus diesem Grund sollte die Farbempfindung auch für unseren Einstieg in das Thema der interdisziplinären Erforschung des Bewusstseins geeignet sein.

Wir wollen – auch mit Hilfe einfacher Experimente – die Sinnesphysiologie der Farbempfindung auf der Ebene des Auges und des Gehirns erarbeiten, auf ihrer Grundlage in die Diskussionen der modernen Philosophie zum Gehirn-Bewusstseins-Problem (Mind Body Problem) einsteigen, Perspektiven und Kritikansätze der Künstlichen Intelligenz erkunden und uns so den eingangs genannten Fragen und dem Thema »Leib und Selbst« aus Sicht der Kognitionswissenschaft annähern.


Mathematik

Unendlichkeit – ein Phantom?

Dozent: Stephan Sigler

Die Mathematik steht in dem Ruf, Erkenntnisse hervorzubringen, die zeit- und raumübergreifend gültig sind. Selbst noch so unterschiedliche kulturelle Prägungen können verhindern, dass sich Menschen eindeutig über diese Erkenntnisse verständigen und ihre Gültigkeit bestätigen oder widerlegen können: Ist ein mathematischer Satz veröffentlicht, so wird er von Mathematikern geprüft und so lange diskutiert, bis sein Beweis verstanden und als lückenlos gekennzeichnet wird. Bisher gibt es praktisch keinen Sachverhalt, von dem Mathematiker ausgehen, ihn prinzipiell nicht verstehen zu können. Der Mathematik wird so ein quasi objektiver Charakter zugeschrieben.

Dies ist deshalb bemerkenswert, weil menschliches Leben immer ein Leben im Leib bedeutet und somit in dieser Hinsicht an Raum und Zeit gebunden ist. Alle Welterfahrung ist dadurch fragmentarisch und perspektivisch, so dass aus dieser Perspektive eine »objektive« oder »universelle« Erkenntnis kaum möglich erscheint. Die Situation verschärft sich auch noch dadurch, dass das Unendliche als ein konstitutives Element der Mathematik angesehen werden muss: So spricht man von unendlich vielen Zahlen, wobei sogar noch verschiedene Stufen von Unendlichkeit unterschieden werden, es lägen unendlich viele Punkte auf einer Geraden usw. Ohne diese Tatbestände würde die Mathematik außerordentlich mager ausfallen, so dass auf die Unendlichkeit nicht verzichtet werden kann. Die Vereinbarkeit der eigenen endlichen Existenz mit einer »objektiven« Erkenntnis eines Unendlichen, das man sich instrumentell verfügbar machen kann, so dass ein sicheres Kalkül möglich wird, scheint aber doch außerordentlich zweifelhaft.

Anhand einiger ausgewählter mathematischer Beispiele aus der Analysis und der Geometrie soll dieser Themenkreis bearbeitet werden, so dass die Signatur dieser Problematik eine genauere Kontur zeigen kann.



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